Die Bundeslade, in der sich die Tafeln mit den Zehn Geboten befanden, wurde aus Holz gemeißelt. Sie war ein magisches Möbelstück. Obwohl sie eindeutige Abmessungen hatte – „zweieinhalb Ellen lang und anderthalb Ellen breit“ –, belegte sie in dem Raum, in dem sie stand, keinerlei Fläche.
In der Lade befanden sich zwei Serien von Tafeln: 1. die ursprünglichen Tafeln, die Mosche zerschmetterte, als er entdeckte, dass die Juden das Goldene Kalb anbeteten; und 2. die zweite Serie von Tafeln, die G-tt den Juden wegen ihrer Buße schenkte.
Eine Lade mit Abmessungen, aber ohne Raum? Ganze und zerbrochene Tafeln Seite an Seite? Was lernen wir daraus?
Das Studium der Tora ist schwierig, denn es setzt ein Gleichgewicht zwischen Fähigkeit und Bescheidenheit voraus.
Einerseits verlangt das Studium der Tora persönlichen Einsatz. Im Gegensatz zu den Geboten G-ttes, bei denen es im Wesentlichen darum geht, etwas „nicht zu tun“, müssen wir beim Studium etwas leisten. Wir müssen uns bemühen, jeden Gedanken der Tora mit unserem Leben, unseren Eindrücken und unseren Erfahrungen zu vergleichen. Nur wenn der Gedanke sich in unserem Geist festsetzt, haben wir die Lektion gelernt.
Andererseits erfordert das Tora-Studium auch die Abwesenheit der Person. Die Tora symbolisiert die unendliche Weisheit eines unendlichen G-ttes. Wie überbrücken wir die Kluft zwischen unserer Endlichkeit und der unendlichen Weisheit G-ttes? Es nützt nichts, wenn wir versuchen, besonders klug zu werden. Wir müssen vielmehr demütig werden. Dreimal am Tag beten wir „Lass meine Seele Staub vor allen sein“ und hoffen dabei, den Schluss des Satzes zu erreichen: „Öffne mein Herz für deine Tora.“
Als die Juden die Tafeln empfingen, waren sie mehr gegenwärtig als abwesend. Da G-tt sie eben erst „auserwählt“ und „über alle anderen Völker gesetzt“ hatte, waren sie nicht sonderlich bescheiden. Deshalb waren die ersten Tafeln etwas grob in der Form und kamen ohne Kommentar. Doch als Mosche vom Berg Sinai herabstieg, sah er, dass die Juden das Goldene Kalb verehrten, und warf die Tafeln zu Boden. Dadurch wurde der Geist der Juden schwer erschüttert. Jetzt waren sie nicht mehr „obenauf“, sondern erlebten die Abwesenheit und Offenheit, die notwendig war, um die Tora wirklich zu empfangen. Deshalb bekamen sie die neuen Tafeln mit ausführlichen Erläuterungen und Deutungen.
Dies ist die Symbolik der ganzen und der zerbrochenen Tafeln, die nebeneinander in der Bundeslade lagen, welche keinen Raum einnahm. Wie lautet demnach der Schlüssel zum Tora-Studium?
Sein und nicht sein.
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