Zu Beginn der Sidra Acharej legt die Tora in Bezug auf Aarons Dienst im Heiligtum fest (Lev. 16, 2-3): "Er soll nicht zu jeder Zeit ins Heiligtum kommen ... (sondern) mit diesem komme Aaron ins Heiligtum." Raschi bemerkt dazu, dass dies hier gleich nach dem Tode seiner zwei Söhne steht, um ihn zu warnen, dass sein – und auch unser – Dienst nicht dem seiner Söhne gleichen soll. Welchen Fehler hatten diese begangen? Ihre vier Vergehen, wie diese im Midrasch (Wajikra Rabba) aufgezählt sind, beruhten auf einer einzigen, aber schwerwiegenden Fehlansicht, nämlich dass ein Jude sich G-tt nur nähern könne, indem er sich ganz von der Welt zurückzieht und sich überhaupt nicht mehr mit den Angelegenheiten des Alltags abgibt.

Hier nun stellt sich diese Frage: Wenn ein Mensch sich im Zustand von Ekstase, von G-ttesnähe befindet, kann man da von ihm erwarten, das er wieder zu seiner alltäglichen Rolle zurückfinde? Wenn das, Was er erlebt hat, auf Wahrheit und nicht auf Schein beruht, wenn er sich der Liebe zu G-tt "mit all seiner Kraft" hingegeben und so alle Schranken durchbrochen hat, die trennend zwischen Mensch und G-tt stehen, kann er sich dann noch zurückhalten und wieder auf die Ebene des menschlichen Alltags zurückkehren? Besteht nicht eine Unvereinbarkeit der Gefühle zwischen der absoluten Hingabe zu G-tt und der dauernd anzuratenden Wachsamkeit, der Vorsicht, nicht zu weit zu gehen?

Die Antwort ergibt sich daraus, wie und unter welchen Voraussetzungen ein Mensch sich auf seine spirituelle Reise macht. Wenn er nur danach strebt, seine eigenen Wünsche zu befriedigen, wie erhaben diese auch sein mögen, dann wird er aus seiner privaten Verzückung nicht wieder in die Angelegenheiten der Welt zurückkehren wollen. Wenn sein Motiv dagegen ist, dass er den Willen G-ttes tue, dann wird bei aller Ekstase der Annäherung doch der Wunsch in ihm verbleiben, letztlich wieder zurückzukehren und dadurch die Welt selbst zu heiligen. Denn er weiß, dass es neben dem Ausspruch "Du sollst den Ewigen, deinen G-tt, mit all deiner Kraft lieben" ein anderes Wort gibt, und zwar (Jesaja 45, 13): "Er hat (die Welt) geschaffen, nicht dass sie leer sei, sondern Er hat sie gebildet, damit sie bewohnt sei."

Der Talmud (Chagiga 14b) enthält folgende Erzählung: Vier Männer betraten den "Hain" (das heißt: die mystischen Geheimnisse der Tora): Ben Asai, Ben Soma, Acher und R. Akiwa. Ben Asai schaute hin und starb. Ben Soma schaute und wurde (vom Wahnsinn) geschlagen. Acher verstümmelte die jungen Bäume (symbolisch für: er wurde abtrünnig). R. Akiwa "ging hinein in Frieden und kam heraus in Frieden".

Um den Unterschied zwischen ihm und den anderen herauszustellen, scheint es auf den ersten Blick in der Tat wichtig zu sagen, wie er aus dem "Hain" wieder herauskam. Weshalb betont der Talmud aber auch, dass er, zuerst einmal, in Frieden hineinging?

Die Antwort hierauf ist, dass jeder der vier Genannten sich schon beim Hineingehen entschlossen hatte, auf welche Weise er wieder herauskommen würde. Zum Beispiel ging Ben Asai – er "schaute hin und starb" – lediglich auf der Suche nach Ekstase hinein. R. Akiwa dagegen ging hinein "in Frieden", das heißt, in Übereinstimmung mit G-ttes Willen, und um die höhere und die niedere Welt miteinander in Harmonie zu bringen. Schon als er sich anschickte, den Weg zu religiöser Ekstase anzutreten, war es seine Absicht, dass er zurückkommen würde.

Ebenso nun sollte Aaron das Allerheiligste betreten, in Ehrfurcht, Gehorsam, Selbstverleugnung. Nur so war es ihm gegeben (Leviticus 16, 6), "für sich und sein Haus zu sühnen" und ein Gebet für den Unterhalt Israels zu verrichten (Talmud, Joma 53b) – beides Handlungen, die für die Welt und den Alltag von direktem Belang sind.