In der dieswöchigen Sidra schildert die Tora den verheerenden spirituellen Rückschlag, den die Israeliten mit der Episode des Goldenen Kalbes erlitten. Aaron, immer bestrebt, seine intensive Liebe zu seinen Nebenmenschen unter Beweis zu stellen, tat sein Möglichstes, um den Götzenkult des Goldenen Kalbes zu verhindern (s. Raschi zu Exodus 32, 2 und 32, 5). Ein Ausspruch unserer Weisen lautet ("Sprüche der Väter" 1, 12): "Zähle dich zu den Schülern Aarons ..., liebe alle Geschöpfe und bring sie der Tora näher." Zwei Anweisungen sind in diesen Worten enthalten: Erstens besagt der ziemlich ungewöhnliche Ausdruck "Geschöpfe" (statt "Menschen", "Personen" oder dgl.), dass wir uns mit jedem abzugeben haben, selbst denjenigen, die kein anderes Verdienst haben, als G-ttes "Geschöpfe" zu sein – also: dass er sie geschaffen hat.
Zweitens wird uns die Methode gezeigt, die wir bei unserem Umgang mit anderen anwenden sollen: Wir sollen sie der unverfälschten, uneingeschränkten Tora näherbringen, nicht aber, umgekehrt, die Tora (sozusagen) an sie herantragen; das heißt, wir sollen die Tora nicht für den Gebrauch "zuschneiden", sie nicht "zurechtstutzen" oder sonst wie dem Bedarf der Leute anpassen.
Ständig sind wir dazu angehalten, alle Juden der Jüdischkeit näherzubringen, unbeschadet ihrer persönlichen Umstände. Deshalb müssen wir uns auch mit den extrem irreligiösen abgeben; dabei aber müssen wir, gleichzeitig, stets auf der Hut sein, dass wir uns nicht aus unserer eigenen festen Position herauslocken lassen. In unserem Umgang mit anderen dürfen wir uns daher, was Tora und Mizwot betrifft, auf keine Kompromisse einlassen. Wenn jemand zu ertrinken droht, müssen wir ihm zur Hilfe kommen, doch müssen wir sehr gut aufpassen, dass wir im Verfolg unserer Rettungsmaßnahmen nicht selber ertrinken!
Es gibt Leute, die Erwägungen dieser Art nicht für richtig halten. Sie vertreten diese Ansicht: "Wenn ich einen Juden zum Judentum heranziehen kann, weshalb sollte ich mich da um Bagatellen kümmern? Ich will schon ein bisschen 'biegsam' sein, zum Beispiel in Bezug auf die 'gemischte Sitzordnung' in der Synagoge, oder in ähnlichen Dingen – denn dadurch würden inzwischen viel mehr Menschen zur Synagoge kommen, und so würden diese dem Judentum auch nähergebracht."
Weiterhin hört man oft die Behauptung, dass es zwar in einer streng gesetzestreuen Gemeinde wohl notwendig sei, auf die genauste Einhaltung jeder einzelnen Tora-Vorschrift zu achten; wenn man dagegen in einem Milieu lebe, wo es Widerstand gegen Tora und Mizwot gebe, dann sollte man "biegsam" sein und in "weniger wichtigen" Dingen Zugeständnisse machen, um so sicher zu gehen, dass die "wichtigen" Vorschriften eingehalten werden.
Eine solche Einstellung lässt sich mit einem Manne vergleichen, der im tiefsten Frieden stets stark bewaffnet durch sein Haus geht, weil er, obwohl Frieden herrscht, sich mit Waffen in der Hand sicherer fühlt. Wenn er dann aber zum Kriege an die Front abberufen wird, dann kommt er auf einmal ohne Waffen an – erstens um es dem Feinde nicht zu deutlich zu machen, dass er zu dessen Gegnern gehört, und zweitens, damit er sich, wenn nötig, leichter von Ort zu Ort bewegen und besser manövrieren kann. Die krasse Dummheit, die aus einer solchen Haltung spricht, bedarf keines weiteren Kommentars.
Während einer Rabbinerkonferenz, vor Jahren, auf der Wege und Mittel zur Stärkung des Judentums zur Diskussion standen, vertrat einer der Teilnehmer den Standpunkt, man müsse ein wenig "nachgeben", um die Situation zu retten. "Wasser zum Trinken", so drückt er sich aus, "muss ganz rein sein. Aber beim Feuerlöschen ist es unwichtig, ob das Wasser rein oder schmutzig ist". Der frühere Lubawitscher Rebbe, Rabbi Josef Jizchak Schneersohn s.A., nahm an jener Konferenz teil. Seine Antwort auf dieses Argument lautete:
"Ihre Annahme stimmt, wenn Ihnen ohne jeden Zweifel klar ist, dass es in der Tat Wasser ist, dass Sie da benutzen – wobei es eben nur zweifelhaft ist, ob dieses Wasser rein oder nicht so sauber ist. Hingegen, wenn es gar kein Wasser ist, dass Sie da zum "Löschen" verwenden – sondern Kerosin (Paraffin) –, dann werden Sie nicht nur den Brand nicht zum Erlöschen bringen, sondern Sie werden ihn, ganz im Gegenteil, noch mehr entfachen, obwohl doch Kerosin, wie Wasser gleichfalls eine Flüssigkeit ist!"
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