Aus der dieswöchigen Sidra entnehmen wir Informationen, wie die Kohanim (Priester) für ihren Dienst im Heiligtum geweiht wurden. Von G-tt zu ihrer heiligen Aufgabe bestimmt, musste ihr Grad von Heiligkeit höher als der aller anderen im Volke sein. Über ihnen allen aber stand der Kohen Gadol (der Hohepriester), dessen Stand und Grad von Weihung der höchste von allen war.

Was die Bedürfnisse des Kohen Gadol betriff, so macht die Tora spezifisch den anderen Kohanim die Auflage, ihn zu stützen, zu unterhalten und so seinen hohen Stand von Autorität zu gewährleisten. Diese Tatsache ist freilich ein wenig überraschend; denn man möchte doch annehmen, die Aufforderung der Tora sollte an ganz Israel ergehen, den Laien ebenso wie den Priester, dass sie alle dem Kohen Gadol Hilfe und Unterstützung angedeihen ließen. Hier jedoch lässt sich alsbald eine Eigentümlichkeit konstatieren: Wenn es sich darum handelt, dem Hohepriester, also dem Größten des Zeitalters, dem Zaddik, Beistand zu leisten, da hätte man wohl meinen können, unsere religiösen Amtsträger würden sich zu dieser Aufgabe drängen, ohne weitere Aufforderung. Wenn es einen gäbe, der erst dazu überredet werden müsste (so könnte man weiter argumentieren), dann wäre es doch sicherlich der einfache "Mann auf der Straße"!

Das Gegenteil aber ist der Fall. Der einfache Mann braucht keine lange Überredung. Der Kassierer wendet sich an ihn mit etwa diesen Worten: "Der Kohen Gadol bedarf der Hilfe und Unterstützung. Möchtest Du Dich an dieser Mizwa beteiligen? Würdest Du Dich außerdem darum kümmern, dass all Deine Freunde und Bekannte sich gleichfalls beteiligen?" Diesem einfachen Mann wird es kaum in den Sinn kommen, erst einmal zum Rabbiner zu eilen, um sich zu erkundigen, was der Schulchan Aruch (unser Gesetzeskodex) wohl dazu sagt. Im Gegenteil, wenn dadurch eine geraume Zeit vergehen könnte, dann würde er befürchten, durch diese Verzögerung um die Mizwa "gebracht" zu werden; er könnte es also versäumen, diese kostbare Chance zu nutzen, um dem großen Kohen Gadol zu helfen.

Der einfache Mann weiß genau, dass G-tt die Frommen nicht im Stich lässt, und daher wird der Ewige letzten Endes dem Kohen Gadol ganz gewiss seine Bedürfnisse gewähren. Aber G-tt könnte vielleicht andere Mittel und Wege dafür benutzen, so dass er selbst der Teilnahme an der Mizwa verlustig gehen könnte. Folglich nimmt er die Gelegenheit unverzüglich wahr, gibt so viel er kann und beeinflusst auch andere, dazu beizusteuern – damit Stützung und Erhöhung des Hohepriesters durch seine Bemühung verwirklicht werde.

Wenn dagegen ein Priester, also ein Amtsträger selbst, daraufhin angegangen wird, dann mag die Antwort ein wenig anders lauten: "Warum kommst Du zu mir? Ich bin doch ein Kohen, kein gewöhnlicher Sterblicher. Ich weiß ohnehin genau, was meine Pflichten sind; gib anderen die Gelegenheit, diese Mizwa zu tun." Oder die Reaktion mag diese sein: "Gibt es keinen anderen als mich, den Du zur Erhaltung des Koben Gadol angehen kannst? Ist Dir nicht bekannt, dass ich für die Durchführung des Dienstes im Heiligtum mitverantwortlich bin? Frag den Kohen Gadol der selber; er wird Dir sagen, was wichtiger ist. Sollte ich mich darauf einlassen und meine Zeit dafür opfern den Kohen Gadol zu unterstützen, nun, der ganze Tempeldienst könnte dadurch zusammenbrechen! Man muss erst einmal gründlich untersuchen, was der Schulchan Aruch und die anderen Tora-Autoritäten dazu sagen."

Da kommt die Tora und gibt schon im Voraus ihre Warnung: Sie befiehlt den Kohanim, den Amtsträgern, den Kohen Gadol zu stützen und ihn zu erhöhen. (Und leider wissen wir aus trüber Erfahrung, dass in dieser Hinsicht sogar das Drängen der Tora selbst manchmal auf taube Ohren fällt!)