Ein besonderer Absatz aus der Tora, "Paraschat Schkalim" (Exodus 30, 11-16), wird zusätzlich zu der laufenden Sidra an diesem Schabbat in der Synagoge verlesen. Dieser Absatz beinhaltet das an jeden Juden gerichtete Gebot, einen Halben Schekel für den Unterhalt des Mischkan – des Heiligtums in der Wüste – zu entrichten.

Unsere Weisen (s. Tossafot zu Chullin 42a, unten) geben folgendes zu bedenken: Als Moses den Befehl erhielt, von jedem männlichen Erwachsenen einen Halben Schekel als Steuer zu erheben, da kam ihm dies rätselhaft vor, sollte doch dieser Halbe Schekel für die Anbetung des Goldenen Kalbes sühnen. "Wie ist es möglich", so dachte Moses, "dass man einfach durch das Zahlen einer Münze eine Sünde wiedergutmachen kann?".

Dabei drängt sich uns selbst sogleich auch eine Frage auf: Bereits vorher hatte G-tt dem Moses eine ganze Anzahl von Gesetzen befohlen, die sich alle auf Opfer oder Abgaben bezogen, welche die Einzelperson als Sühne für ihre Sünden darbringen sollte. Bis dahin jedoch hatte Moses sich nie darüber gewundert, dass ein derartiges einfaches Opfer die Vergebung einer Sünde erwirken konnte. Warum dann war er plötzlich so verblüfft, als er jetzt die Vorschrift über den Halben Schekel erhielt? (In diesem Zusammenhang sei auch auf die "Betrachtung" zur Sidra Truma verweisen, in der wir uns schon einmal mit diesem gleichen Thema befasst haben).

Die Tora schreibt jedem Juden die Erfüllung von 613 Mizwot vor. Diese 613 bestehen aus zwei hauptsächlichen Kategorien, nämlich 365 Verboten und 248 positiven Vorschriften.

Unsere Weisen erklären (Tikkunei Sohar 30, S. 74; Tanja, Kap. 23), dass die 613 Mizwot den 613 Teilen des menschlichen Körpers entsprechen. Manche Organe des Körpers erfüllen eine genau umrissene, spezifische Aufgabe – das Auge ist zum Sehen, das Ohr zum Hören usw. Andere Organe dagegen, wie zum Beispiel das Gehirn oder das Herz, haben nicht allein eine spezifische Funktion, sondern sie sind gleichzeitig so allgemein lebenswichtig, dass die gesamte Lebenskraft des Körpers auf ihnen beruht (Tanja, Kap. 9). Sollten diese Organe schlecht funktionieren oder erkranken, dann wird die Existenz des Körpers als solche davon zutiefst betroffen.

Ähnlich steht es mit den Mizwot: Es gibt unter ihnen "spezifische" Vorschriften und "allgemeine" Vorschriften. So sind die ersten zwei der Zehn Gebote – "Ich bin der Ewige, dein G-tt" und "Du sollst keine anderen Götter neben Mir haben" – derartige "allgemeine" Anordnungen, und sie sind von direktem Einfluss auf das innerste Wesen der jüdischen Seele. Daraus folgt, dass jedes Vergehen gegen diese zwei Gebote (wie zum Beispiel Götzenkult) die geistige Existenz des Juden, seine elementare Verbindung zu seinem Schöpfer beeinträchtigt.

Von dieser Erkenntnis ausgehend können wir jetzt verstehen, weshalb Moses hinsichtlich der Abgabe des Halben Schekels so verwirrt war: Es erschien ihm nicht erstaunlich, dass eine "spezifische" Sünde durch ein Opfer oder eine Abgabe gesühnt werden konnte. Was ihm rätselhaft vorkam, war diese Überlegung: Wie sollte es denkbar sein, dass ein Halber Schekel für die Anbetung des Goldenen Kalbes "bezahlen" konnte – eine Sünde, die den Kern der menschlichen Seele schwer infiziert hatte – und doch nennt die Tora den Halben Schekel "... eine Sühne für ihre Seelen"? Selbst wenn jemand sein ganzes Vermögen G-tt geben würde, würde das denn ausreichen, um seine Seele (Nefesch) auszulösen? Könnte irgendeine beliebige Summe jemals ein angemessenes Opfer sein, um die Seele von der Sünde zu befreien?

Für eine Antwort auf Moses’ Frage müssen wir den Charakter der Mizwa des Halben Schekels näher beleuchten.

Dort wo die Tora das Thema des Halben Schekels behandelt (Exodus 30, 11-16), betont sie ganz speziell, dass die Hälfte eines ganzen Schekels zu zahlen war. Dies ist schwer zu verstehen. Es ist uns doch aufgetragen, G-tt immer das Beste zu geben (s. Lev. 3, 16; Rambam, am Ende von Hilchot Issurei Misbeach); wieso verlangt die Tora dann nur einen Halben Schekel? Hinzu kommt, dass es der Zweck dieser Mizwa war, für die Sünde des Götzenkultes (d.h. die Sünde der Ableugnung der Einheit G-ttes) zu sühnen; da wäre es doch viel angebrachter gewesen, wenn eine solche Geste der Wiedergutmachung in der Abgabe einer ganzen Münze, einer runden Summe bestanden hätte. Doch die Tora besteht auf dem Halben Schekel!

In der Tat war es nicht nötig, dass der Jude G-tt einen ganzen Schekel gab, um für die Sünde des Goldnen Kalbes zu sühnen. Nein, einen Halben Schekel sollte er zahlen, womit er symbolisch anzeigte, dass die Einheit von G-tt und Seinem Volke nicht der Vereinigung zweier getrennter Einheiten gleicht, wo jede Seite ein starr abgezeichnetes, für sich bestehendes Individuum bleibt. Vielmehr ist die Zusammengehörigkeit eines Juden mit seinem Schöpfer derart, dass sie beide zusammen eine Einheit bilden!

Ein Jude ohne G-tt ist unvollständig und unerfüllt, eine bloße "Hälfte". Erst wenn er sich absolut zu G-tt gesellt, erst dann wird er zu einer vollständigen, ganzen Person – wie der frühere Lubawitscher Rebbe s. A. zu sagen pflegte: "Kein Jude ist gewillt oder auch fähig, sich von der G-ttlichkeit abzusondern". Was G-tt selbst betrifft, so führt der Talmud aus (Kidduschin 36a), dass G-tt über die Juden dieses aussagt: "Sie sind Meine Kinder unter allen Umständen; sie für eine andere Nation auszutauschen, ist undenkbar". Der Jude und sein Schöpfer sind zwei von einander nicht trennbare Hälften; zusammen machen sie ein Ganzes aus, eine vollkommene Einheit.

Nachdem Moses G-tt gebeten hatte; den Juden für die Sünde der Anbetung des Goldenen Kalbes zu vergeben, erließ G-tt an Israel die Vorschrift des Halben Schekels, womit ihre schwere Versündigung gesühnt werden sollt. Danach sprach G-tt zu Moses (Exodus 34, 10): "Siehe, Ich schließe einen Bund ..."

Die Grundidee eines "Bundes" – eines Schwures immerwährender Freundschaft, den zwei Personen sich gegenseitig zuschwören – ist diese: Wenn Freunde absolut davon überzeugt sind, dass ihre Freundschaft von Dauer ist, und dass es nichts gibt, das ihre gegenseitige Zuneigung beeinträchtigen könnte, dann liegt gar kein Grund dazu vor, ihre Freundschaft durch einen Eid zu bekräftigen. Es könnte aber sein, dass die Freunde befürchten, die Zeit oder die Umstände könnten dazu angetan sein, das sie einigende Band zu schwächen, oder ein außerhalb ihres Einflusses liegender Faktor könnte eine Spaltung zwischen ihnen herbei führen. Daher beschließen sie, sich fest zu verpflichten, und zwar durch ein formelles Bündnis, ihre gegenseitige Zuneigung zu bewahren, was immer auch sich ereignen könnte. Das Bündnis legt fest, dass sie sich stets treu bleiben – selbst wenn die Vernunft dagegen spräche, selbst wenn ihre Interessen völlig auseinandergingen.

Die Rechtswirkung eines derartigen Vertrages ist diese: Sogar in dem Falle, dass einer der Freunde keinen vernünftigen Grund mehr dazu hätte, dem anderen zugeneigt zu sein, selbst dann ist er dennoch durch den Freundschaftseid gebunden, den er geleistet hat. Der Vertrag hat sie geeinigt, hat sie zu einer Person zusammengeschweißt; und ebenso wie jemandes Eigenliebe niemals abstirbt, so dauert auch ihre Freundschaft auf immer an.

Dieser Gedankengang trägt dazu bei, ein gewisses Licht auf einen Brauch zu werfen, der in Tora und Tanach (Genesis 15, 9-11; Jeremia 34, 18) im Zusammenhang mit dem Schließen eines Bundes erwähnt wird. Die beiden Vertragspartner gingen zwischen den zwei Halbstücken eines geschlachteten Tieres hindurch – ein Brauch, der an sich nur schwer zu verstehen ist. Man könnte doch sicher eine angebrachtere Ausdrucksform für die Absicht finden, dass Personen ihre Einheit und Vereinigung bekunden wollen, als zwischen den von einander getrennten Hälften einer vordem geeinten Sache hindurchzugehen!

Jedoch ist in Wirklichkeit die Erklärung für den Brauch, "zwischen den Stücken durchzugehen", um so ein Bündnis zu schließen, dieselbe wie die innere Bedeutung des Halben Schekels. Beide Bündnispartner müssen sich zuvor als unvollständig ansehen, jeder von beiden nur eine "Hälfte". Als G-tt daher Moses sagte, Er sei dabei, einen Bund mit den Juden zu schließen, bekräftigte Er damit nochmals die Idee des Halben Schekels – nämlich, dass ein Jude und sein Schöpfer zwei untrennbare Hälften darstellen, die erst zusammen ein Ganzes, eine vollkommene Einheit bilden.