In der dieswöchigen Sidra Wajechi finden wir, dass Jakob seinen Sohn Ascher mit Worten segnet (Genesis 49, 20), die – wie Raschi z. St. erklärt – ihm für seinen Anteil am Lande Israel Öl in reichlichem Masse in Aussicht stellen. Ähnlich wird dieser Stamm auch von Moses gesegnet (Deut. 33, 24): "Er taucht seinen Fuß in Öl."

Alles in der physischen Welt Bestehende hat, wie wir schon öfters ausgeführt haben, sein "Gegenstück" im Bereich des Geistigen. Das Umgekehrte gilt auch: Weil etwas im Geistigen besteht, hat es sein "Gegenstück" in der physischen Welt. Dies bezieht sich ganz besonders auch auf in der Tora enthaltene Dinge; denn diese wird ja nicht nur nach dem einfachen Wortlaut ("Pschat") interpretiert, sondern zusätzlich noch nach drei weiteren Methoden. So haben, auch hier, die beiden oben genannten Segnungen nicht nur ihren buchstäblichen Sinn – das wären die in der Tat zahlreichen Olivenhaine Aschers – sondern außerdem eine spirituelle Dimension.

"Öl" steht in Verbindung mit "Weisheit" (s. Talmud, Menachot 85b). "Weisheit" offensichtlich ist das Höchste im Menschen, während der "Fuß" der unterste Teil ist. Der zitierte Vers: "Er taucht seinen Fuß in Öl" besagt demnach, dass die Füße, obwohl eigentlich der unterste Teil, einen Wert besitzen, der die Qualität von Weisheit noch übersteigt, und deshalb bedienen die Füße sich des Öles.

Nun heißt es im Prophetenbuch Secharja (14, 4), dass zur Zeit des Maschiach "seine Füße an jenem Tage auf dem Berg der Oliven" (das ist der sog. "Ölberg") stehen werden. "Öl" ist Weisheit, "Oliven" sind die Urquelle des Öls. Der "Berg der Oliven" ist sogar noch höher, denn auf ihm erst wachsen die Oliven. Wenn es daher heißt, dass die Füße des Maschiach "auf dem Berg der Oliven" stehen werden, dann ist damit eine noch größere "Erhöhung" dieser Füße angedeutet.

In Bezug auf Dienstleistungen an G-tt haben "Öl" und "Füße" gleichfalls symbolische Bedeutungen. "Öl" bezeichnet da einen Menschen, der Tora studiert und Mizwot einhält, weil er sie in einem bestimmten Grade versteht und sie ihm einen Genuss bereiten. "Füße" versinnbildlichen einen Menschen, dem dieses Verstehen und dieser Genuss fehlen und der somit die Tora als ein "Joch" auf sich nimmt. Freilich würde dies ihn scheinbar auf eine niedrigere Stufe stellen, und doch wird gerade diesem Zustand ein Wert beigemessen, der weit über das "Öl" hinausragt. Hier haben wir ein klares Beispiel für die Bestätigung der These, dass etwas Physisches und sein geistiges "Gegenstück" in Wechselwirkung stehen.

Der Stamm Ascher gehörte zum Lager (unter der Führung des Stammes) Dan – "Sammler aller Lager" (Numeri 10, 25). Die Stämme dieses Lagers waren die Nachhut bei allen Wanderungen; und so konnten sie das verlorene Gut der anderen Stämme finden und es seinen Eigentümern zurückerstatten. Mit anderen Worten: Zwar waren sie, als Nachhut, ganz hinten ("weiter unten" als die anderen, also die "Füße"), doch waren sie gerade deshalb in der Lage, den anderen ihr verlorenes Gut zurückzugeben.

Die Weisen sagen im Talmud (Chagiga 4a): "Wer ist ein Narr? – Wer alles, das ihm gegeben worden war, dem Verluste preisgibt" (hebr.: "Kol Mah"). Dazu bemerkt die chassidische Philosophie: Jedem Juden ist von G-tt das Potential von "Mah" gegeben worden; das ist die Übergabe seiner selbst zum G-ttlichen. Trotzdem kann man aufgrund der Kraft des Bösen – das (Kohelet 4, 13) als ein "alter und törichter König" vorgestellt wird – dieses "Mah" verlieren. Es war aber eben dieses verlorene Gut, welches das Lager von Dan fand und zurückerstattete.

Die "führenden" Stämme, ganz "vorne", nahe beim Stiftszelt, konnten sehr wohl ihr "Mah" verlieren, selbst der Stamm Levi; selbst die Kehothiten (die dem Stiftszelt am allernächsten waren). Das Lager hinten dagegen, das Lager Dan, konnte nicht nur sein "Mah" in perfektem Zustand behalten, es konnte es auch allen anderen Juden wieder zurückbringen. Auf diese Weise denn haben die "Füße" einen erhöhten Wert.

Wer sich als Jude in nächster Nähe des Heiligtums dünkt, weil er viel "versteht" und viel Genuss aus den Mizwot entnimmt, kann des "Mah" verlustig gehen, wenn er stets nur an sich selbst denkt und mit sich selbst zufrieden ist. Der Jude, der weniger weiß und dabei das "Joch" der Tora auf sich nimmt, ist der "Fuß"; und hier nun ist er höher als das "Öl". Nur wer sich dem Interesse anderer Juden widmet, um ihnen zu geben, was ihnen fehlt, wer also das Grundprinzip von "Liebe deinen Nächsten wie dich selbst" in die Tat umsetzt, ist versichert, dass er so sich selbst weiter vervollkommnet.