Wer sein Leben als einen "Dienst" auffasst, muss sich unaufhörlich bemühen, alle Aspekte seiner eigenen Moral, sein ganzes ethisches Verhalten, kritisch zu überprüfen. Der schlimmste Feind, mit dem jemand zu tun haben kann, ist das Sichgehenlassen, ein Charaktermerkmal, das sich auch körperlich auswirkt und ihn ungeschlacht erscheinen lässt.

Nachsicht gegen sich selbst trägt den Stempel des Jezer Hara (des bösen Triebes). Sie macht den Menschen blind und sein Herz stumpf. Sie blockiert jede innere Erkenntnis seiner eigenen Schwächen, Fehler und Voreingenommenheiten. Der Grund hierfür ist immer darin zu suchen, dass der Mensch an sich zur Selbstrechtfertigung neigt; und dies kann so weit führen, dass seine Eigenliebe ihn sogar Verfehlungen gegen seine eigene Person übersehen lässt.

Durch Eigenliebe kann ein törichter und gedankenloser Mensch dazu kommen, sich selbst als eine bedeutende Persönlichkeit einzuschätzen; ein Dummkopft dünkt sich dann ein "Genie", ein überheblicher Mensch sieht sich als "bescheiden" an, ein hässlicher als "schön", ein Sadist als "tugendhaft" und ein Neider als "wohlwollend".

Wie gross ist die Torheit und Verblendung eines Narren, der einen anderen einen "Schwachsinnigen" schimpft, "Dummkopf", "gedankenlos", "anmassend", "überheblich" und ähnliche Attribute, ohne auch nur einen einzigen Augenblick lang seine eigenen Schwächen anzuerkennen! Und wenn solchen Leuten ihre Schwächen wirklich einmal gezeigt werden, dann sind sie schnell bei der Hand mit "Erklärungen" und "inneren Beweggründen", um so ihr Benehmen zu entschuldigen. Oder noch schlimmer: derjenige, der sie darauf hinweist, wird selbst von ihnen der Fehler beschuldigt, weil er etwas entdeckt hätte, das "gar nicht da ist". Unter dieserlei Typen gibt es sogar Leute, deren moralische Verblendung und Verkrüppelung so grenzenlos ist, dass sie sich gegen das vorzüglichste aller Werke G-ttes vergehen - nämlich den Menschen selbst, ihre eigene Seele -,indem sie sich über jede Kritik erhaben dünken.

Wie erbärmlich sind aber solche Kreaturen in Wirklichkeit! Sie erfüllen in keiner Weise den Zweck, der ihrer Seele bei ihrem Herunterkommen von G-ttes Höhe auf diese Welt gesetzt ist, das ist: zu dienen und zu befolgen, nach Tugenden zu streben, die Tora zu lernen und aktiv die Gebote einzuhalten. Und bei alledem liegt der Fehler in eben jener aufgezeigten Eigenliebe. Jemand, der nicht gewillt ist, aufzupassen und sich selbst zu prüfen, wandert einfach einher wie ein "Ochse zum Schlachten", zu moralischem und spirituellem Selbstmord; denn er hat das Ziel seines Daseins als Mensch vollends vergessen.

Das menschliche Leben auf dieser Welt ist ständig in den schweren Kampf zwischen Gut und Böse verwickelt, zwischen Wahrheit und Lüge, zwischen dem Schönen und dem Hässlichen. Bei jedem Kriege ist es eine der wichtigsten taktischen Maßnahmen, dass man sich selbst erkennt und unter die Lupe nimmt. Zudem muss man auf seine Freunde und Angehörigen aufpassen, um sicherzugehen, dass auch sie ihre Aufgabe erfüllen, den Feind zu besiegen. Noch wichtiger aber ist es, genauestens jede feindliche Tätigkeit zu beobachten und zu analysieren, insbesondere den verräterischen "Freund", das ist das Sichgehenlassen, das einen auf Schritt und Tritt verwirren kann.

Wer daher sein Leben im Einklang mit seiner durch G-ttliche Vorsehung bestimmten Mission führen will - die darin besteht, die Welt mit dem Lichte der Tora und der Flamme der Mizwot zu erhellen -, muss sich auf diese ihm gesetzte Aufgabe richtig vorbereiten, durch Selbstüberprüfung und Selbstbeobachtung. G-ttes Vorsehung wird ihm ganz gewiss dabei all seine Bedürfnisse gewähren und ihn auch mit seinem geistigen Unterhalt versehen.

Zusammenfassende Übersicht:

Selbstliebe und Nachsicht für eigene Fehler sind ein schlimmer Feind des Menschen. Jeder muss immer alle Kräfte einsetzen, um diese betörende und allzu gern für sich selbst entschuldigte Neigung zu besiegen.