Wie die dieswöchige Sidra zeigt, waren in dem Segen, den Jakob von Isaak erhielt, die Worte enthalten (Genesis 27, 28): "Und G-tt möge dir vom Tau des Himmels und vom Fett der Erde geben ..." Wie Raschi (z. St.) den Ausdruck "Und G-tt möge dir geben" versteht, beinhaltet dieser: "Der Ewige wird geben und nochmals geben".
Das gibt Anlass zu dieser Frage: Was denn hatte in G-ttes ursprünglicher Gabe noch gefehlt, dass diese durch eine weitere Gabe vollendet und vervollkommnet werden könnte? Der Mensch selbst ist ein begrenztes Wesen, in seiner Macht ist er beschränkt; sollte er einem anderen sogar das prachtvollste und großzügigste Geschenk machen, so könnte auch dieses durch eine zusätzliche Gabe noch verbessert werden. Demgegenüber jedoch würde vom allmächtigen und unendlichen Schöpfer ausgehend jedes "Geschenk" schon von Anfang an vollkommen sein. So bleibt die Frage bestehen: Was also könnte in diesem Falle durch ein weiteres Geben noch hinzugefügt werden?
Ein Vergleich mit der Erziehung eines Schülers durch einen Lehrer mag dazu beitragen, das Problem zu lösen: Wenn ein Lehrer mit seinem Schüler Erfolg hat, kann dies sich auf zwei verschiedenen Ebenen zeigen. Auf der einen Seite kann er sein Wissen dem Schüler so beibringen, dass es vollständig aufgenommen und so zum Wissen des Schülers selbst wird; aber der Schüler mag trotzdem noch nicht in der Lage sein, selbständig und schöpferisch den Gedankengang weiterzuentwickeln und fortzuführen Auf einer zweiten, höheren Ebene dagegen gelingt es dem Lehrer, den Schüler so gut anzuleiten, dass in diesem die Fähigkeit erweckt wird, eigenhändig seine ihm innewohnenden Verstandeskräfte auf das betreffende Thema zur Anwendung zu bringen und auf diese Weise das ihm übermittelte Wissen von sich aus auszudehnen und auszubauen.
Die Mischna ("Sprüche der Vater" 2, 8 bzw. 2, 10-12) zitiert ein Beispiel dieser zwei unterschiedlichen Erfolgsstudien, und zwar im Zusammenhang mit den Schülern von R. Jochanan ben Sakkai. Einer dieser Schüler hieß R. Elieser ben Hyrkanos, ein anderer hieß R. Elieser ben Aroch.
Dazu führt die Mischna aus: "Sollten alle weisen Männer in Israel (nach Kommentaren z. St.: einschließlich R. Elieser ben Aroch) in einer Waagschale sein und Elieser ben Hyrkanos in der anderen, so würde dieser sie alle aufwiegen." Dann aber fährt die Mischna fort: "Sollten alle weisen Männer in Israel in einer Waagschale sein und auch Elieser ben Hyrkanos zu ihnen gehören, und Elieser ben Aroch wäre in der anderen Waagschale, so würde dieser sie alle aufwiegen." R. Elieser ben Hyrkanos war "eine auszementierte Zisterne, die nicht einen Tropfen verliert". Seine Fähigkeit, Weisheit in sich aufzunehmen, war besser sogar als diejenige von Elieser ben Aroch. Aber R. Elieser ben Aroch war wie "eine sich immer stärker ergießende Fontäne", womit die Fähigkeit gemeint ist, das Wissen noch auszudehnen, zum Wissen hinzuzufügen und aus eigner Quelle es mit Neuem auszubauen. Als ein schöpferisches Genie war er größer als Elieser ben Hyrkanos.
Damit wird klar, was G-ttes "doppelter Segen", den Issak dem Jakob übermittelte, in sich enthielt: Nicht nur würde G-ttes Segen als solcher vollständig und vollkommen sein, sondern er würde die zusätzliche Wirkung haben, dass Jakob in die Lage versetzt würde, selbständig und aus eigener Kraft den Segen auszubauen und auszudehnen.
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