Die dieswöchige Sidra enthält den bekannten Bericht über die zwölf Kundschafter, die Moses ausschickte, um das Land Kanaan zu erforschen, bevor es – auf G-ttes Geheiß – erobert würde. Erstaunlich ist das Ergebnis: Der Obwohl jeder Kundschafter von Moses persönlich ernannt worden war und jeder G-ttes Versprechen in Bezug auf das Land Kanaan genau kannte, stellte sich am Ende doch heraus, dass zehn von ihnen im Widerspruch zu G-ttes Willen handelten, indem sie dem Volke zu verstehen gaben, das Land könne nicht erobert werden. Mehr noch – sie fürchteten sich vor den Kanaanitern so sehr, dass sie, wie der Talmud (Sota 35a) es darstellt, tatsächlich sagten: "Die Bewohner sind stärker als Er", dass also G-tt selbst sie nicht besiegen könnte!
In einem klassischen Gleichnis wird geschildert, wie man sich auf dem Wege verirrt: Es ist nicht so, dass man sich ganz plötzlich in einem dunklen und unwegsamen Walde befindet. Der Vorgang ist vielmehr dieser: Man weicht von der breiten und gut markierten Strasse nur allmählich ab, jeweils nur schrittweise. Langsam, allmählich und kaum merkbar lässt man die Strasse hinter sich, bis man schließlich mitten im Walde ist.
Das war es, was sich bei den Kundschaftern abspielte: Angefangen hatten sie als kluge und rechtschaffene Männer, Fürsten in ihren Stämmen, denen der Wille G-ttes nur zu gut bekannt war; am Ende aber waren sie zu "Rebellen" geworden.
Wo genau zeichnet sich der allererste Schritt auf diesem Wege ab, die erste kleine Spur eines Irrtums?
Wie der "Alte Rebbe", der Begründer des ChaBaD-Chassidismus, es erläutert, bestand der erste, fast unmerkliche Irrtum darin, dass sie nicht bereit waren, sich mit der alltäglichen Welt und ihren Belangen abzugeben. In der Wüste waren sie gegen die täglichen Schwierigkeiten der Welt und des Lebens gefeit; ihnen wurde alles umsonst gewährt. Durch ein Wunder erein Wunder hatten die Wasser (Miriams hielten sie Nahrung (das Manna), durch Quelle), durch ein Wunder wurde ihre Kleidung nicht verschlissen, und die Wolken bargen sie vor ihren Feinden. Aber sofort nach ihrem Einzug ins Land Kanaan würde ihre erste Aufgabe darin bestehen, Kriege zu führen; auch mit dem Beistand G-ttes würde dies Zeit und Mühe kosten, sogar wenn der Kampf kaum Opfer fordern würde. Diese Zeit und Mühewaltung jedoch könnte besser und vorteilhafter dem Torastudium gewidmet werden – so dachten sie.
Hinzu kommen würde, dass auch hinterher, wenn der Krieg gewonnen wäre, Arbeit zu leisten sein würde, zu pflügen, zu säen, zu ernten. So denn missfiel es den Kundschaftern, das Leben in der Wüste aufgeben zu müssen, um die Aufgaben der materiellen Welt ins Auge zu fassen. In der Wüste war es ihnen doch möglich, ihre gesamte Zeit und Energie der Tora zu widmen.
Demgegenüber bestand Moses – in Ausführung des Willen G-ttes – darauf, dass die Israeliten sich aus der Wüste in das Land Kanaan begaben, um sich dort niederzulassen. Denn das eigentliche Ziel von Tora und ihre Erfüllung ist – die Tat! Die Tora gipfelt darin, dass sie auf die reale Welt zur Anwendung kommt. Es genügt nicht, sich mit der Theorie von Tora zufriedenzugeben. Im Gegenteil: Das Und Kanaan, mit all seinen 31 verschiedenen Kulturen (die alle im Gegensatz zur Tora standen), musste tatsächlich und praktisch erobert werden, damit aus ihm das Heilige Land werde – so dass erst auf diese Weise Theorie und Praxis zusammengeschweißt werden und ein integrales Ganzes daraus ersteht.
Das war erstlich ein geringfügiger Irrtum der Kundschafter. Sie folgen einer Philosophie, in der die Theorie von der Praxis völlig getrennt war, die geistige Welt von der materiellen. Auf diesen ersten kleinen Schritt folgten dann die weiteren.
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