Neulich wachte ich morgens auf und entdeckte eine kleine Wahrheit. Zumindest kam es mir so vor; aber ich wollte sicher sein. Vielleicht konnte mir ein Philosoph weiterhelfen. Also packte ich meine Wahrheit ein, und ging zu einem Gelehrten.
Der Philosoph hielt die Wahrheit in der Hand und schüttelte den Kopf. „Das kommt mir nicht wie eine Wahrheit vor“, sagte er. Ich frage ihn nach dem Grund. Er erklärte, diese kleine Wahrheit ergebe einfach keinen Sinn.
„Aber mir kommt sie ganz vernünftig vor“, protestierte ich.
„Ihnen schon“, erklärte er. „Aber einem Philosophen nicht.“
„Aber woran misst man eine Wahrheit?“, fragte ich. „Für wen muss eine Wahrheit sinnvoll sein?“
„Hören Sie“, erwiderte er. „Sie wollten eine fachkundige Meinung, und jetzt haben Sie eine.“ Als er meine Enttäuschung sah, dachte er noch einmal nach und schlug dann vor: „Sie können ja einen Wissenschaftler fragen. Er und seine Kollegen haben bisweilen andere Wahrheiten.“
Im Büro des Wissenschaftlers lagen die Dinge anders. „Zeigen Sie mir Ihre kleine Wahrheit“, sagte der Mann.
„Hier ist sie“, sagte ich.
„Ich sehe sie nicht“, entgegnete er. Als er meine Enttäuschung sah, fragte er: „Können Sie mir ihre Existenz beweisen?“
Ich bemühte mich, einen Beweis zu finden, den der Wissenschaftler anerkennen würde. Gewiss, er fand mein Argument interessant, bestand aber darauf, dass es nicht mit dem derzeitigen wissenschaftlichen Paradigma übereinstimme. „Können wir das nicht ändern?“, wollte ich wissen. Doch der Wissenschaftler wollte wegen einer so kleinen Wahrheit kein Paradigma ändern, zumal Paradigmen heutzutage äußerst wichtig seien.
„Ich bin bereit, das Risiko einzugehen“, sagte ich. „Sogar für eine kleine Wahrheit.“
Also schickte er mich zu einem Geldgeber, der in Wahrheiten und neue Paradigmen investierte. Ich zeigt ihm meine kleine Wahrheit und erzählte ihm, wie ich sie entdeckt hatte und was der Philosoph und der Wissenschaftler dazu gesagt hatten. Er schien nicht sehr interessiert zu sein, sondern wollte nur wissen, was man mit meiner Wahrheit anfangen könne. Also ging ich nach Hause. Dort hatte ich meine kleine Wahrheit gefunden, und dort wollte ich bleiben. Aber meine kleine Wahrheit ließ mich nicht in Ruhe. Immer wieder bat sie: „Probier mich aus! Teste mich! Schau, was ich bewirken kann!“
Ich erwiderte: „Es ist besser, wenn du in meinem Kopf bleibst. Schließlich hat der Philosoph dir nicht geglaubt, der Wissenschaftler hat dich nicht gesehen, und der Geldanleger wollte nichts in dich investieren. Woher weiß ich, dass du Recht hast?“
„Es gibt nur einen Weg, das herauszufinden“, rief sie aus.
„Aber ich will das Risiko nicht eingehen“, entgegnete ich.
Meine kleine Wahrheit begann zu weinen. „Seit Anbeginn der Schöpfung“, klagte sie, „habe ich darauf gewartet, in dieser Welt geboren zu werden. Aber du willst mich nicht aus dem Leib holen, in dem ich mich formte. Im Grunde bin ich keine Wahrheit, weil ich noch gar nicht geboren wurde. Und ich werde nie wirklich wahr sein, es sei denn, jemand erlaubt mir, meine Beine auf den Boden der Tatsachen zu stellen. Bitte, lass mich geboren werden!“
Also probierte ich meine kleine Wahrheit aus. Und siehe, sie war praktisch anwendbar! Mein Leben wurde sichtlich heller. Seither haben meine kleine Wahrheit und ich zusammen viele andere kleine Wahrheiten entdeckt – und auch einige große. Und sie alle wurden real.
Worum geht es eigentlich in dieser Geschichte? Sie handelt von Mosche und von den Kundschaftern, die er aussandte. Am Sinai erfuhren alle Menschen die Wahrheit. Doch die Kundschafter waren nicht bereit, sie draußen in der Welt anzuwenden. Sie hielten es für sicherer, sie in der Welt des Geistes, der Meditation und des Gebetes aufzubewahren.
Mosche sagte: „Die Wahrheit kann ihre Wirkung nur entfalten, wenn sie mit beiden Beinen auf dem Boden steht.“
„Aber das geht nicht!“, protestierten die Kundschafter. „Auf dem Boden ergibt sie keinen Sinn. Lass sie dort, wo sie sinnvoll ist – in der Luft.“
Aber Mosche erwiderte: „Die Wahrheit muss weder für euch noch für sonst jemanden einen Sinn ergeben. Wenn es wirklich die Wahrheit ist, begreift sie ohnehin niemand vollständig. Sie gleicht der Challa, die ihr nicht essen könnt, ohne alles beiseite zu schieben, was ihr nicht begreift. Die Wahrheit ist nur wahr, weil sie real ist, und sie muss in dieser realen Welt real sein.“
„Unmöglich!“, riefen die Kundschafter. „Du siehst doch, dass die Welt für diese Wahrheit nicht reif ist. Die Welt wird sie lebendig verschlingen!“
Aber Mosche sah die Wahrheit in all ihrer Pracht und glaubte an sie, mehr als an alles andere in der Welt. Darum sagte er: „Die Wahrheit ist real, und sie wird real bleiben, denn wir werden sie real machen.“ Genau das taten die Juden, und zwar in allen denkbaren Situationen der realen Welt, auf der geografischen, historischen und soziologischen Ebene.
Und die Wahrheit entfaltete ihre Wirkung.
Versuchen Sie es!
Diskutieren Sie mit