Wie uns die dieswöchentliche Sidra lehrt (Num. 13, 16), änderte Moses den Namen von Hoschea bin Nun in Jehoschua um. Der Talmud (Sota 34b) führt aus, dass er mit dieser Namensänderung das Gebet aussprach: "Möge G-tt dich vor den Ratschlägen der Kundschafter bewahren." Nachdem diese Kundschafter alle zur Zeit ihrer Ernennung rechtschaffen waren (anderenfalls hätte Moses sie nicht zu ihrer Aufgabe bestimmt), was war dann der Grund für sein Gebet? Oder auch umgekehrt: Hätte Moses befürchtet, dass die Kundschafter, trotz ihrer Rechtschaffenheit, sich vielleicht etwas zuschulden kommen lassen könnten, warum betete er dann für Jehoschua allein?

Der Talmud (Schabbat 105b) führt aus: "Dies ist die Arbeitsweise des Jezer Hara (des bösen Triebes): Heute sagt er, tue dies, und am nächsten Tag, tue jenes, bis er schließlich sagt, bete Götzen an." Auf diese Weise – so erklärt der Talmud – kann es vorkommen, dass auch ein Jude schließlich ein Gebot G-ttes übertreten mag. Die List des Jezer Hara besteht darin, dass er jemanden nicht mit einem Schlage und auf einmal verführt, sondern es allmählich, Schritt für Schritt, tut.

Außerdem gibt es bei der Ausführung der Mizwot den Begriff "Hiddur Mizwa" – d.h. die "Ausschmückung" einer Mizwa. Wie der Talmud weiterhin feststellt, kann es vorkommen, dass jemand eine Mizwa ausgeführt hat und dabei dennoch seiner Verpflichtung nicht nachgekommen ist. Zuerst sucht der Jezer Hara einen zu überreden, dass man die Mizwa nicht mit "Hiddu" zu tun braucht, dass es auch ausreiche, ihr nur einigermaßen gerecht zu werden. Später sucht er dahingehend zu überreden, dass es schon genüge, die Mizwa nur wie eine Art Notbehelf auszuüben; und schließlich kommt es so weit, dass er einem einredet, sie überhaupt nicht zu erfüllen oder etwas Böses zu tun.

Wenn das Gesagte für jedes Gebot Gültigkeit besitzt, so gilt es ganz besonders für die Mizwa von "Ahawat Jisrael", der Liebe zum Nebenmenschen, die – so erklärt der Talmud Jeruschalmi (Nedarim 9, 4) – die Grundlage aller Gebote ist. Deshalb würde ein Nachlassen von "Ahawat Jisrael" dem Jezer Hara sofort einen Angriffspunkt verschaffen, um schließlich darauf abzuzielen, G-tt behüte das Gegenteil von "Ahawat Jisrael" zu erreichen. In diesem Sinne gab ja auch Hillel (Talmud, Schabbat 31a) dem fragenden Heiden zur Antwort: Angefangen mit "Ahawat Jisrael" kann man, darauf aufbauend, die ganze Lehre und ihre Wahrheit erkennen.

Demgegenüber gibt es aber auch die Methode Schammais, die Methode von Strenge und Ernst; und es gibt Menschen, für welche diese die richtige ist, diejenigen zum Beispiel, die – wie der berühmte Rabbi Schimeon bar Jochai, der sich jahrelang versteckt hielt – ihr Leben ausschließlich auf der Ebene des rein Spirituellen führen, von allen weltlichen Dingen isoliert.

Dieser Gedankengang gibt uns nun eine Erklärung für Moses’ Gebet für Jehoschua. Die chassidische Philosophie (Likkute Tora, Bamidbar 36, 4) legt dar, dass die Kundschafter nicht nach Erez Jisrael gehen wollten. In der Wüste – so sagten sie sich – waren sie allen weltlichen Problemen entrückt; denn Speise, Trank und Kleidung kamen für sie von G-tt, und so konnten sie sich die ganze Zeit spirituellen Dingen widmen. Dies jedoch würden sie in Erez Jisrael nicht tun können; dort würden sie die Felder pflügen, ernten und überhaupt für ihren Lebensunterhalt arbeiten müssen.

Wie wir aber ausführten, ist diese Methode nur für manche Menschen, nicht für alle, angebracht; und gewiss gibt es sehr fromme, dem Geistigen vollständig ergebene Menschen, die so in Ernst und Strenge, allen irdischen Dingen fremd, ihr Leben führen. Ein echter Führer aber darf sich nicht auf diese Art absondern; er muss vielmehr, wenn er das Gemeinwesen wirklich fördern und in Ordnung halten will, für alle zugänglich sein und der breiten Masse des Volkes gerecht werden. Aus diesem Grunde stand Caleb nicht auf der Seite der anderen Kundschafter. Er hatte sich Moses, den echten Führer und wahren Hirten, zum Vorbild genommen und folgte seinen Ideen. Hinsichtlich Jehoschua wusste Moses, dass er eines Tages sein Nachfolger und Führer der ganzen Volkes sein werde; und deshalb sprach er für ihn das besondere Gebet, er möge gegen die Denkweise der anderen Spione gefeit bleiben, um damit für alle und für jedermann anpassungsfähig zu sein, denn ein richtiger Führer muss auf alle Rücksicht nehmen.