In unserem Wochenabschnitt erfahren wir von der entscheidenden Begegnung zwischen Jakow und seinem Bruder Esaw, der ihm mit vierhundert Kriegern entgegenschritt. Ihre Begegnung, die kriegerisch enden sollte, kehrte sich überraschend zu einem rührenden Wiedersehen zweier Brüder: Und Esaw lief ihm entgegen, umarmte ihn, fiel ihm um den Hals und küsste ihn und sie weinten.1
Was verursachte diese totale Umwandlung in Esaw? Raschi kommentiert: „Erbarmen kam über ihn, als er Jakow so oft niederknien sah“.2
In diesem Zusammenhang bringt Raschi die Worte von Raschbi:3 „Es ist eine Halacha, dass Esaw Jakow hasst; nur in jenem Moment überfiel ihn Erbarmen und er küsste ihn von ganzem Herzen.“
Bis heute gültig
Weshalb verwendet Raschbi den Ausdruck Halacha – Gesetz? Worin besteht der Zusammenhang zwischen einer Halacha und dem Hass Esaws?
Raschbi will damit festsetzen, dass diese Tatsache – der Hass Esaws gegen Jakow – unverändert bleibt, so wie die Halacha, das jüdische Gesetz, keinen Änderungen unterliegt und auf ewig Geltung hat. Der Hass Esaws ist nicht von diesem oder jenem Grund abhängig, dass bei Verschwinden dieser Gründe sein Hass aufgehoben werden könnte. Sein Hass gegen Jakow ist wegen Jakow selbst, seiner Person und Identität! (Und darin wurzelt der Antisemitismus.)
Sollten wir dennoch ein brüderliches Verhalten Esaws gegenüber Jakow finden, ist das nur der Ausnahmefall – „nur in jenem Moment überfiel ihn Erbarmen und er küsste ihn von ganzem Herzen.“
Gerade Raschbi
Seine überlieferte Lehre musste Raschbi an seinem eigenen Körper spüren. Er lebte zu jener Zeit, als die Römer, die Nachkommen Esaws, über das Heilige Land herrschten und harte Dekrete gegen die Juden und besonders gegen Raschbi erließen. Raschbi trat mutig für die Rechte seines Volkes ein und musste sich deshalb dreizehn Jahre lang in einer Höhle versteckt halten, da die Römer ihn zum Tode verurteilt hatten.
Dennoch aber, als die Juden versuchten diverse Dekrete aufzuheben, schickten sie ausgerechnet Raschbi als Vermittler nach Rom, eben wegen seiner Standfestigkeit gegenüber den Römern. Und er war bei diesen Missionen erfolgreich!
Auch anhand der Geschichte Raschbis werden diese zwei Seiten derselben Münze deutlich: Einerseits – der ständige Hass Roms gegen die Juden und insbesondere gegen Raschbi; andererseits ist es gerade Raschbi, bekannt für seinen erbitterten Widerstand gegen die Römer, der sie „besänftigen“ und somit ihre Dekrete aufheben konnte.
Keine Einschüchterung
Auch heutzutage, wo sich das jüdische Volk noch in der Galut befindet, verstreut unter den Weltvölkern, ist die Lehre Raschbis aktuell:
Einerseits darf der Jude seine Hoffnungen nicht in die Völker der Welt legen, denn es ist eine Halacha, dass „Esaw Jakow hasst“. Aber gleichzeitig hat er die Kraft, auch in dieser Situation deren Hilfsbereitschaft zu erwecken, sodass „Erbarmen ihn überfiel und er ihn von ganzem Herzen küsste.“
Wie macht er das? – sobald der Jude standfest hinter seinem Judentum steht und stolz in den Wegen der Thora geht, bis er sogar „Esaw“ verkündet: „Ich habe mit Lawan gewohnt und die 613 Gebote erfüllt“4 – er schämt sich nicht zu sagen, dass er die Gesetze der Thora befolgt, die auch unverständlich sein können – beeinflusst dies auch die Völker der Welt und sie helfen ihm sogar bei seinen religiösen Belangen, auf dem Weg zur vollkommenen Erlösung, über die geschrieben steht: Und Könige werden deine Diener sein.5
(Likutej Sichot, Band 20, Seite 144)
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