In der zweiten Parascha der dieswöchigen Sidra heißt es (Deut. 22, 4): "Du sollst nicht den Esel deines Bruders oder seinen Ochsen auf dem Wege ("Derech") fallen sehen und dich ihm entziehen wollen; vielmehr hast du sie mit ihm fest aufzurichten."
"Derech", ein Weg, ist die Verbindungslinie zwischen einem Privatbesitz und der öffentlichen Straße. Der Midrasch Sifri (z. St.) erläutert, in Anlehnung an den Talmud (Baba Mezia 32a), dass die Vorschrift unseres Verses darüber hinaus auch an einem öffentlichen Platz angeht, nur nicht in einem Privateigentum (wie z.B. einem Stall). Eine Analogie kann mit dem Belehrungs- und Erziehungswesen aufgestellt werden, denn vor seiner Erziehung ist der Mensch "wie das Junge eines Wildesels", also dem Tiere, dem Ochsen oder Esel gleich. Wenn man daher, im übertragenen Sinne, so einen "Ochsen" oder "Esel" fallen sieht (ein Fall von ihrem Niveau und von der Last, die sie eigentlich tragen sollten), dann muss man helfen, ihn aufzurichten.
Wohlgemerkt, der Vers sagt: "du siehst". Daraus ist die direkte Verbindung zu dir selbst zu ersehen, wie der Baal Schem Tov s.A. es auszudrücken pflegte: "was immer jemand sieht oder hört, geschieht mit G-ttlicher Absicht, damit der Mensch all sein Erleben dazu nutzt, G-tt zu dienen."
Sollte jemand meinen, er selbst stünde auf einem höheren Niveau als der andere (und wäre dies sogar wirklich der Fall), so ist er doch mit ihm eng verbunden, denn unser Vers spricht von "deinem Bruder". Wenn man überdies den anderen "auf dem Wege sieht" - also auf dem "Derech", weder auf einem Privatgrundstück noch auf einem öffentlichen Platze -, könnte man sich fragen, ob es der Mühe wert sei zu helfen. Daher wird ihm bedeutet, dass es auch dort seine Pflicht ist, den anderen aufzurichten.
Es ist, im Gegenteil, viel wichtiger, jemandem beizustehen, der in einem öffentlichen Platz zu Fall gekommen ist (denn im privaten Bereiche könnte er vermutlich sich selbst helfen). Der Talmud hat den Grundsatz, dass viele Vorschriften unserer Weisen noch weiter gehen als die Tora; deswegen dehnt der Sifri die Vorschrift noch über den "Derech" bis auf die öffentliche Straße aus. Diese Mizwa, dem anderen zu helfen, dass er sich wieder aufrichten kann, ist mit Eifer und Freude zu erfüllen.
Dasselbe gilt für all unsere jüdischen Schulen und Lehranstalten. Wenn man einen Schüler fallen sieht, dann gibt es keine Entschuldigung, nicht für den Lehrer, nicht für den Jugendleiter, nicht einmal für den Direktor, den Standpunkt einzunehmen, es sei unter ihrer Würde, ihn aufzurichten, oder sie hätten gerade keine Zeit. Nein, das Gebot ist an jeden gerichtet, Mitschüler wie Lehrer, sowohl als Einzelpersonen wie als Gemeinschaft. Und nachdem dies von ihnen verlangt wird, folgt daraus, dass es in ihrer Kraft liegt, es erfolgreich durchzuführen.
Viele Schulen fangen ihr neues Schuljahr im Elul an, zu einem Zeitpunkt, da G-tt mit einem "König auf dem Felde" verglichen wird (siehe "Betrachtung" zur Sidra Reeh 5731), d.h.: Er ist bei Seinen "Untertanen", deren Wünsche Er erfüllt; dann offenbaren sich Seine Dreizehn Attribute der Gnade. Dies ist also eine besonders günstige Periode, um sich erfolgreich zu bemühen, um zu kämpfen - eine Idee, der am Anfang unserer Sidra Ausdruck verliehen wird (Deut. 21, 10): "Wenn du ausziehst zum Kriege ..." Krieg ist zu führen gegen den eigenen tierischen Instinkt, gegen die schädliche umgebung und gegen des anderen tierischen Instinkt. Die Methode ist: "wenn du ausziehst ...". d.h., nicht zu warten, bis der Feind in dein Gebiet eingedrungen ist; denn selbst wenn man da siegt, würden die Verwüstungen im eigenen Gebiet verbleiben. Wenn man aber auszieht, dann bleibt das eigene Gebiet unversehrt.
Man darf ausserdem nicht meinen, dass man mit dieser Hilfe dem anderen einen Gefallen tue, und dass daher schon eine kleine Hilfeleistung, gratis gegeben, ausreiche. Nein, im Grunde ist dies viel mehr deine Angelegenheit als seine. Denn, wie der oben zitierte erste Vers der Sidra schliesst, "du hast seine Gefangenschaft von ihm wegzunehmen".
Zusammenfassende Übersicht:
Die Pflicht, dem Bruder beizustehen, seinen am Wege gefallenen Ochsen und Esel wieder aufzurichten, ist im übertragenen Sinne auch auf das Erziehungswesen anzuwenden. Ganz besonders im Elul muss man so "zum Kriege ausziehen".
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