In einem Wahljahr gibt es immer Streit über “reißerische Propaganda”. Aber es wird selten gesagt, was darunter zu verstehen ist. Handelt es sich um unsachliche Kritik? Um persönliche Angriffe? Oder gar um “Enthüllungen”?

Als Adlai Stevenson sich um das Amt des amerikanischen Präsidenten bewarb, verkündete er: “Wenn die Republikaner versprechen, keine Lügen mehr über uns zu verbreiten, versprechen wir ihnen, nicht mehr die Wahrheit über sie zu sagen.”

Wie Sie sich denken können, hat das Judentum dazu eine klare Meinung. Maimonides (der Rambam) sagte: “Ein Toragelehrter soll alle Menschen in vorteilhaftem Licht sehen, seine Kollegen loben und nie etwas sagen, was ihm zur Unehre gereicht.”

Wer ist ein Toragelehrter? Das sind Sie, solange Sie den rechten Weg gehen! Verlangt der Rambam von uns, die Fehler anderer Leute zu übersehen? Nein. Wir sollen sie durchaus sehen und sogar unter vier Augen darüber reden. Aber in der Öffentlichkeit sollen wir nur Positives äußern.

Die Weisen sagen, Laschon Hara (üble Nachrede) sei verboten, selbst wenn er wahr ist, denn er tötet den Sprecher, den Zuhörer und den, dem er gilt. “Töten” ist ein starkes Wort, aber die Weisen setzten diese Sünde tatsächlich dem Götzendienst, dem Mord und dem Ehebruch gleich! Eine moderne Redensart weist darauf hin, daß drei Finger auf uns zurück zeigen, wenn wir mit einem Finger auf einen anderen Menschen deuten.


In dieser Woche lesen wir den Abschnitt Emor. Das bedeutet “sprechen”. Es ist ein Gebot, das uns anweist, über die Vorzüge anderer Menschen zu sprechen. In einer Zeit, wo die öffentliche Auseinandersetzung immer abstoßender wird, ist es gewiß keine schlechte Idee, ab und zu ein freundliches Wort zu sagen.

“Aber er hat doch angefangen!” wenden Sie vielleicht ein. Natürlich, einer fängt immer an. Und darum ist es logisch, daß auch einer aufhören muß. Der Mut einiger Politiker, auf Schläge und Gegenschläge zu verzichten, hat zu ersten, wenn auch noch zaghaften Schritten in Richtung Frieden geführt.

Wenn Sie andere dämonisieren, reagieren sie, wie Sie es erwarten. Wenn Sie andere loben, kann sie das so überraschen, daß sie zur Vernunft kommen.

Das gilt im kalten Krieg ebenso wie in der Ehe. Menschen am Rande der Scheidung haben sich vor dem Abgrund gerettet, indem sie Flüche mit Güte beantworteten. Das soll nicht heißen, daß wir uns endlos prügeln lassen – freundliche Worte sind ein Produkt der Stärke, aber Unterwürfigkeit ist Schwäche.