Im Leseabschnitt ›Kedoschim‹ finden wir eine ganze Reihe von essentiellen Geboten der Tora, darunter auch solche, die sich auf Landwirtschaftliches beziehen. Eines davon betrifft den Ertrag eines Fruchtbaumes: In den ersten drei Jahren sind uns die Früchte eines solchen Bäumchens gänzlich verboten, im vierten Jahr gelten sie als ›heilig‹ und müssen entweder – zu Zeiten des Heiligen Tempels – in Jerusalem gegessen werden, oder ausgelöst werden. Erst im fünften Jahr können wir die Früchte ganz regulär verbrauchen.
Die Ernte des fünften Jahres, so wird versprochen, wird besonders reichhaltig ausfallen, sozusagen als Belohnung dafür, dass man sich in den ersten Jahren um der Erfüllung des Gebotes willen zurückgehalten hat. Schließlich hat man zunächst in den Baum investiert, ohne finanziellen Nutzen daraus zu ziehen. - Um es uns nicht gar zu schwer zu machen, stellt die Tora im fünften Jahr besonders großen Erfolg in Aussicht.
Es gibt jedoch auch eine tiefere Erklärung dieses Gebotes: Die fünf Jahre entsprechen fünf geistigen Weltsphären, wie sie in der Kabbala unterschieden werden. Die drei ersten Jahre entsprechen den drei niedrigeren Sphären, in denen die Welt bei weitem nicht perfekt ist, Verbotenes und Falsches enthält. Das vierte Jahr steht für die vierte dieser Sphären, ›Azilut‹ genannt, in der alles auf einer Ebene des G-ttlichen ist. Darüber befindet sich die fünfte und höchste Sphäre, die Krone jener geistigen Welten.
Diese Erklärung wirft jedoch eine Frage auf: Wenn die fünfte Sphäre die höchste ist, wie kommt es dann, dass wir die Früchte des vierten Jahres ›heilig‹ halten, während wir die des fünften Jahres einfach aufessen oder Geschäfte damit machen?
Der Lubawitscher Rebbe hat diese Frage anhand einer Begebenheit aus dem Leben des Rabbi Israel Baal Schem Tov erhellt:
Der Baal Schem Tov suchte einmal inkognito, als einfacher Mann gekleidet, einen Gelehrten auf und fragte ihn nach seinem Wohlbefinden und seiner Gesundheit. Der Gelehrte wollte sich durch solch profane Fragen nicht von seinen heiligen Studien ablenken lassen und war nicht einmal zu einer kurzen Bemerkung, »Ich bin G-tt sei dank gesund« oder Ähnlichem bereit. Sein Studium, dachte er, sei so wichtig, dass er banalen Dingen wie Ernährung und Gesundheit keine Aufmerksamkeit widmen wollte. Tatsächlich aber, so klärte ihn der Baal Schem Tov auf, ist das ein Irrtum: Unsere Aufgabe, für G-tt einen Wohnsitz in dieser Welt bereitzustellen, erfüllen wir gerade dadurch, dass wir G-tt für die materiellen Dinge, die uns in der Welt erhalten, gebührend danken.
Und das zeigen uns die Früchte des fünften Jahres: Wir erkennen, dass auch die profanen Dinge des täglichen Lebens vom Segen G-ttes abhängen, und danken Ihm dafür; so stellen wir die wahre Verbindung zwischen essentiell G-ttlichem und unserer Welt her.
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