Natürlich stellen Sie sich Ihren G-tt nicht mehr als bärtigen Alten vor, wie Sie es vielleicht als Kind getan haben. Und er ist für Sie auch nicht das Klischee mit Donnerkeilen, kein entfernter Verwandter der griechischen Götter auf dem Olymp, die nie lächelten (was hatten sie dann von all ihrer Macht?).
Wie aber sieht Ihr reifes, komplexes Bild von G-tt aus? Immer noch glauben viele Leute, G-tt werde in der Bibel auf zwei Arten dargestellt: als grimmiger, rachsüchtiger Donnergott (in der Tora) und als eher gütiger, sanfter Vater (in den Hagiographen und bei den Propheten).
Wie die meisten Verallgemeinerungen sind beide Bilder blanker Unsinn. Wir finden zwar in der Tora mehr strenge Ermahnungen und Strafen pro Parascha als im Rest der Schrift, aber wenn wir genau hinsehen, entdecken wir auch in der Tora einen G-tt, der die ganze Menschheit umarmt. Und die Propheten waren nicht immer lieb und nett. Nehmen wir diese Woche als Beispiel. In Mikez deutet Josef die Träume des Pharaos und rettet Ägypten in der folgenden Hungersnot. Wegen seiner Voraussicht wird er zum Vizekönig erhoben. Welcher gnadenlose G-tt würde den Ägyptern einen so begabten Seher schicken?
Andererseits erzählt die Haftara die vertraute Geschichte von den zwei Frauen, die mit einem Baby zu König Schlomo kommen. Beide hatten gleichzeitig ein Kind geboren. Eines war gestorben, und nun wussten sie nicht, wer die Mutter des überlebenden war. Schlomo rät, das Kind zu teilen. Dadurch appelliert er an den Mutterinstinkt der wahren Mutter, die lieber auf ihr Kind verzichten wollte als es zu töten. Aber einen Moment stockt uns der Atem angesichts der drakonischen Lösung.
Sowohl Josef als auch Schlomo wirkten mit Talenten, die G-tt ihnen gegeben hatte. Beide bewiesen, dass wir G-tt nicht kritisieren dürfen und dass er nie ist oder tut, was wir uns vorstellen. Wir werden ihn nie begreifen - wozu bräuchten wir sonst den Himmel? Bei allem Respekt vor den Philosophen, die den H-rrn der Tora oder einer anderen heiligen Schrift definieren wollen ... vergeuden Sie nicht Ihre Zeit. Die Grundbotschaft der Tora lautet: Wir haben die Aufgabe, die Welt zu verbessern, nicht ihren Schöpfer zu erklären.
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