Jedes Kind kennt die Geschichte von Awraham, der G–ttes Kumpel wurde, die Götzen seines Vaters zerbrach, von Nimrod in den Schmelzofen geworfen und von G–tt gerettet wurde. Aber das alles steht nicht in der Tora! Sie erwähnt Awraham nur kurz am Ende des Paraschat Noach und berichtet, dass er geboren wurde, heiratete und seinen Vater auf dessen Reise von Ur nach Kanaan begleitete. Der Schwerpunkt dieser Verse liegt jedoch auf Terach, nicht auf Awraham.
Erst im Paraschat Lech Lecha beginnt die Tora, die Geschichte unseres Gründervaters zu erzählen, und zwar mit dem Gebot: „Verlasse dein Land, das Land deiner Geburt, und deines Vaters Haus!“
Warum wird das so betont? Bevor Awraham den Befehl erhielt, seines Vaters Haus zu verlassen, war er bereits ein sehr g–ttesfürchtiger Mann. Im Alter von drei Jahren hatte er „seinen Schöpfer erkannt“, und von da an wuchs sein Glaube stetig. Er war bereit, sein Leben für G–tt zu opfern, und dieser bewirkte ein Wunder, um ihn zu retten.
Das alles beschreibt aber nur Awrahams Bemühungen, G–tt näher zu sein. Mit dem Gebot „Lech Lecha“ (verlasse dein Land) begann eine neue und tiefere Beziehung zu seinem Schöpfer. Darum sagen unsere Weisen: „Wer eine Mizwa erfüllt, weil sie ihm befohlen wird, ist größer als einer, der sie erfüllt, ohne dass es ihm befohlen wird.“
Das Wort „Mizwa“ und das Wort „Tsawta“ (gemeinsam) haben die gleiche Wurzel. Wenn ein Mensch ein g-ttliches Gebot erfüllt, weil es ihm befohlen wurde, verbindet ihn das mit G–tt in dessen Unendlichkeit. Würde derselbe Mensch das Gebot erfüllen, ohne dass es ihm befohlen wurde, wäre das zwar eine gute Tat, aber nicht mehr.
„Lech“ bedeutet „weitermachen“. Damit ist der Beginn einer Reise gemeint. Daran erinnert die Tora, wenn sie über Awraham schreibt, er sei „weitergegangen, immerzu nach Süden“, also nach Jerusalem, wo G–ttes Gegenwart am deutlichsten zu spüren ist.
Ein echter spiritueller Fortschritt setzt voraus, dass wir unseren jetzigen Zustand hinter uns lassen. Doch solange unser Wachstum von uns selbst abhängt, ist es begrenzt, denn niemand kann die Grenzen seines Begriffsvermögens überschreiten. Wird unser Fortschritt jedoch von G–tt geleitet, hat unser Wachstum keine Grenzen. Die Tora und ihre Mizwot können einen Menschen weit über seinen natürlichen Horizont hinausführen. Um das zu unterstreichen, befiehlt G–tt dem Awraham, „in das Land, das ich dir zeigen werde“ zu gehen, ohne genauere Angaben zu machen.
Die Worte „das ich dir zeigen werde“ (hebräisch „arecka“) kann man auch mit „das ich dir offenbaren werde“ wiedergeben. Die Reise nach Erez Jisrael offenbarte Awraham sein wahres Selbst. Darauf weist auch der Begriff „Lech Lecha“ hin, der wörtlich „geh zu dir selbst“ bedeutet, also „zu deinem wahren Wesen“.
Im Laufe unseres Lebens bekommen wir alle die Chance zu entdecken, wer wir sind, wer G–tt ist und dass wir mit ihm eins sind.
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