Über den Vers Wenn die Frau eines Mannes ihm untreu wird, welcher die Gesetze über eine unsittliche Frau einführt, lehren unsere Meister: „Der Mensch begeht nur eine Sünde, weil der Geist des Leichtsinns ihn überfällt“.1 (In der hebräischen Sprache haben „Leichtsinnigkeit“ und „Unkeuschheit“ einen ähnlichen Wortstamm.) Die Lehre unserer Weisen lässt uns ein sehr merkwürdiges Phänomen begreifen. Jeder Jude hat eine g-ttliche Seele, eine tiefe Bindung zu G-tt. Die Liebe und Ehrfurcht zu G-tt sind ihm angeboren. Wie also kann es sein, dass er der Sünde verfällt, welche ihn von G-tt distanziert? Das Buch Tanja erklärt sogar, dass jede Sünde in demselben Maße die Bindung zu G-tt zerstört wie purer Götzendienst! Umso mehr müsste die Seele des Juden aus ihm herausschreien und ihn von seiner Sünde abbringen!
Wer liebt, der hasst
Die Antwort ist, dass ihn der „Geist des Leichtsinns“ überfallen hat, welcher seine Liebe zu G-tt einfriert. Dieser fremde Geist lässt den Juden die schwerwiegende Konsequenz einer Sünde nicht wahrnehmen, dass sie nämlich den Menschen von G-tt wortwörtlich abtrennt! Denn wenn sich der Jude darüber im Klaren wäre, hätte er die Sünde nie begangen, wie er doch auch seinem Judentum nie abschwören würde, da er weiß, dass diese Tat ihn von G-tt definitiv trennt. „Der Geist des Leichtsinns“ redet ihm aber ein, dass bei jeder anderen Sünde dies nicht der Fall sei.
Woher kommt dieser „Geist des Leichtsinns“? – Er entspringt aus der Begierde. Die Lust nach körperlichen und materiellen Genüssen nimmt dem Menschen das Feingefühl für Spirituelles, da dies Gegensätze sind (so wie man nicht zwei Menschen lieben kann, die einander hassen. Und sogar umgekehrt: Je größer die Liebe zu einem, desto größer ist der Hass zu seinem Gegner). Um dann des Menschen Gewissen zu beruhigen, redet ihm der „Geist des Leichtsinns“ ein, dass das Begehen einer Sünde nicht so schlimm sei, denn G-tt liebt ihn doch und „wird schon ein Auge zudrücken“.
Alles beginnt mit der Begierde. Der Mensch lässt sich von körperlichen Genüssen die Sinne rauben und will dabei das wahre Gesicht der Sünde nicht sehen, dass auch die kleinste Tat gegen G-tt seine Bindung zu G-tt zerstört!
Eine reine Seele
Andererseits aber will der Jude an sich niemals eine Sünde begehen. In seinem Inneren fürchtet er sich vor jeglicher Trennung von G-tt, ist es doch der „Geist des Leichtsinns“, welcher die Sünde verharmlost und auf diese Weise den Menschen dazu verleitet. Die Sünde ist ein Gräuel und gehört nicht zum Wesen des Juden, dem die Sünde völlig fremd ist.
Der sündige Mensch also kann aus zwei Perspektiven betrachtet werden. Einerseits begeht der Mensch eine Sünde mit all ihren schwerwiegenden Konsequenzen, andererseits aber steckt in ihm eine g-ttliche Seele, welche die Sünde verabscheut.
Die Ehefrau
Es ist kein Zufall, dass die Gelehrten das allgemeine Wesen der Sünde gerade aus dem Vers Eine Ehefrau, die untreu wird gelernt haben, welcher lediglich die Gesetze über eine unsittliche Ehefrau einführt. Denn es gibt einen engen Zusammenhang zwischen dem Wesen jeder Sünde und der unsittlichen Ehefrau.
Die Beziehung zwischen G-tt und dem jüdischen Volk wird oft mit der Ehe von Mann und Frau verglichen. Dabei übernimmt G-tt die Rolle des Mannes und das jüdische Volk die Position der Frau. Wenn also der Jude gegen G-tt sündigt, gleicht er einer Ehefrau, die ihren Mann betrügt.
Bei der unsittlichen Frau aber, wie sie in unserem Wochenabschnitt vorkommt, handelt es sich nicht um eine Ehegattin, die mit Sicherheit ihren Mann betrogen hat. Ihre Sünde lag darin, dass sie mit ihrem unsittlichen Verhalten den Verdacht eines Ehebruchs auf sich gebracht hat. Auch ein solches Verhalten gilt bereits als Sünde, da es unangemessen ist. Es entspringt der Leichtsinnigkeit und entstammt nicht dem Wesen der Frau.
So verhält es sich auch mit dem Juden – selbst wenn er sündigt oder auch nur ein unangemessenes Verhalten aufweist, bleibt er doch in seinem Inneren G-tt immer treu. Aus dieser Kraft heraus erkennt er schließlich, dass jede Sünde ein „Ehebruch gegenüber G-tt“ ist, und überwindet so den „Geist des Leichtsinns“.
(Likutej Sichot, Band 2, Seite 331)
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