Als G-tt Moses rief, um zum ersten Mal ins Heiligtum einzutreten, lautet der Vers1 Wajikra el Mosche – und G-tt rief zu Moses. Das Wort Wajikra wurde mit einem kleinen Alef geschrieben, und der Baal HaTurim sagt in seinem Kommentar zu diesem Vers, dass Moses aus Bescheidenheit dieses Alef kleiner als die anderen Buchstaben schrieb. Obwohl Moses von allen Juden auserwählt wurde, direkt mit G-tt zu kommunizieren, verkleinerte er seine Wichtigkeit: Er schrieb das erste Wort dieses Satzes ein bisschen wie Wajikar, "und G-tt stieß zufällig auf Moses."2
Trotz der Tatsache, dass Moses ein grandioser Prophet und Tora-Gelehrter mit enormen Wissen war, war diejenige Eigenschaft, die G-tt für würdig hielt, in der Tora erwähnt zu werden, seine BescheidenheitMoses war die bescheidenste Person, die die Erde je gesehen hat.3 Es könnte auch die demütigste Person heißen. Demut bedeutet nämlich nicht, dass ein Mensch kein Selbstwertgefühl hat, sondern dieser Mensch weiß, was er hoch zu schätzen hat, - aber nur weil er weiß, von wem seine Eigenschaften in Wirklichkeit stammen: Von G-tt! Er sprach, und die Welt entstand. Moses wusste sehr genau, dass er G-ttes Auserwählter war, der die Juden aus Ägypten erlösen soll, der das Schilfmeer teilen, die Tora erhalten und das jüdische Volk durch die Wüste führen soll. Trotzdem blieb Moses bescheiden, weil er dachte, dass auch ein anderer - geboren mit gleichen Eigenschaften - möglicherweise bessere Resultate erzielt hätte.
Ähnliches sagte Rav Josef, einer der Weisen des Talmuds, über sich, dass er ein außerordentlich bescheidener Mensch ist, vergleichbar mit den extrem bescheidenen Leuten aus vorherigen Generationen.4 Obwohl er seine Bescheidenheit erkannte, wurde sie dadurch nicht beeinträchtigt.5
Die Wichtigkeit der Bescheidenheit
Über Eigenschaften der Bescheidenheit und der Überheblichkeit wird gesagt:6
- Ist ein Mensch bescheiden, so ist das, als hätte er alle Opfer dargebracht.7
- G-tt kommt den Gebeten einer bescheidenen Person entgegen.8
- Wer bescheiden ist, ist nahe an G-tt, der mit ihm wohnen kann.9
- Obwohl Moses der größte Prophet und Tora-Gelehrte aller Zeiten und der Mensch mit dem größtem Wissen war, hielt G-tt aber Moses Bescheidenheit für diejenige Eigenschaft, die würdig war, in der Tora erwähnt zu werden.10
- Einige sind der Ansicht, dass wahre Bescheidenheit die höchste spirituelle Ebene ist, die ein Mensch erreichen kann.11 Aus diesem Grund nennt Jesaja das jüdische Volk "die Demütigen"12
- Wer sich selbst über alle anderen erhebt und arrogant verhält, wird von G-tt heruntergesetzt werden. Wer sich hingegen erniedrigt und bescheiden bleibt, wird von G-tt erhoben werden.13
- G-ttesfurcht wird als eine "Krone" der Weisheit - als eine höhere Ebene der Weisheit - betrachtet, doch bleibt sie lediglich ein Vorbereitungsstadium der Bescheidenheit.14
- Wer verdient die kommende Welt? Derjenige, der bescheiden ist, bescheiden steht, bescheiden läuft und fortwährend Tora studiert, – sich jedoch seine Leistungen nicht selber zuschreibt.15
- G-tt hat das jüdische Volk wegen seiner Bescheidenheit auserwählt und wegen der Bescheidenheit seiner Vorväter.16
Wie erreichen wir Bescheidenheit?
Ein Weg zur Bescheidenheit ist unsere Erinnerung an die Tatsache, dass wir aus einem kleinen Tropfen stammen und am Ende zu Staub zerfallen werden.17
Die chassidischen Meister sagen, je stärker wir uns vor G-tt für null und nichtig erklären, desto mehr wird der Mensch bescheiden angesichts G-ttes unendlicher Größe.18 Insbesondere beim Fühlen der Güte G-ttes sollte es ihn mit Demut inspirieren.19
Das Ausmaß der Bescheidenheit
Selbst bei häufiger Ehrung durch seine Mitmenschen sollte sich ein Mensch daran gewöhnen, bescheiden zu bleibenObwohl der Mensch charakterlich den mittleren Weg anstreben soll und weder zu geizig noch zu freigiebig sein soll, kann er hinsichtlich seiner Bescheidenheit ins Extrem verfallen und äußerst zurückhaltend werden. Wie es Rabbi Lewitas aus Javne lehrt: "Wir sollen außerordentlich bescheiden sein."20 In ähnlicher Art sagt Rabbi Nachman Bar Jizchak: "Wir sollen nicht die kleinste Spur von Arroganz besitzen."21
Diese Eigenschaft wird uns durch das Verhalten von Hillel zur Schau gestellt, der trotz seiner Stellung als der Oberste des Sanhedrins (Höchstes rabbinisches Gericht) geduldig jede Frage beantwortete, selbst wenn sie zu ungelegener Zeit gestellt wurde.22
Zeichen der Bescheidenheit
Es gibt viele Zeichen wahrer Bescheidenheit, wie z.B.:
- Wenn wir jemandem vergeben, der uns beleidigt oder ungerecht behandelt hat, selbst wenn wir die Macht oder die Gelegenheit dazu hätten, Rache zu nehmen, gemäß dem Vers: "Sag nicht, wie er sich mir gegenüber verhalten hat, werde ich mich ihm gegenüber verhalten; ich werde diesem Kerl seine Untaten schon angemessen heimzahlen."23
- Kommen auf uns schwierige Zeiten zu, sollten wir diese demütig und mit Zuversicht akzeptieren, wohl wissend, dass diese Schwierigkeiten zu seinem Besten sind. Wie es der Prophet Amos sagt: "Der Weise sollte jederzeit schweigen."24
- Werden wir von anderen Leuten geehrt, sollten wir uns daran gewöhnen, stets bescheiden zu bleiben. Unser Vorvater Abraham verhielt sich auf dieselbe Weise: Als die Hethiter zu ihm sagten: "Du bist der Prinz von G-tt in unserer Mitte",25 verbeugte er sich vor allen Leuten des Landes.26
- Erreichen wir eine hohe Position in Wissen, Reichtum, Macht, sollten wir stets bescheiden bleiben und uns weiterhin auf dieselbe Art verhalten wie zuvor. Wie es König Salomon sagte: "Wenn der Geist eines Herrschers zu dir aufsteigt, wenn du z.B. vom König in eine hohe Position erhoben wirst, verlass deinen Platz nicht, - gib die vorherige Position der Bescheidenheit nicht auf.27
- Sehen wir Leiden auf uns zukommen, sollten wir unverzüglich unsere Taten unter die Lupe nehmen, allfällige Missetaten bereuen, uns bessern und diesen Prozess nicht wegen unseres Hochmutes verschieben. Als Esra die zurückkehrenden Juden aus dem babylonischen Exil tadelte, haben sie ihre Taten unmittelbar bereut, ein Tora-Leben begonnen und ihre nichtjüdischen Frauen wieder nach Hause geschickt.28
- Wer wirklich bescheiden ist, wird seinen Besitz mit anderen teilen, da er sich nicht dazu berechtigt fühlt, ein Leben in Reichtum zu leben, während andere sich mit einem Leben der Armut herumschlagen. So handelte auch unser Vorvater Abraham. Er war ein Vorbild an Bescheidenheit, der von sich selbst sagte: "Ich bin Staub und Asche."29 Er ließ deshalb viele Menschen freigiebig an seinem Reichtum teilhaben.30
Die Auswirkungen der Überheblichkeit
Wenn ein weiser Mensch anfängt, überheblich zu werden, wird seine Weisheit von ihm weggenommen werden- Über die arrogante Person sagt G-tt: Ich kann nicht mit ihm unter einem Dach leben.31
- G-tt "verachtet" diejenigen, die ein hochmütiges Herz haben.32
- Der Talmud33 sagt, dass die Sünde der Überheblichkeit mit den größten Sünden verglichen wird. Wenn jemand arrogant ist, wird das gleichgesetzt mit:
-
- Götzendienst
- Dem Verneinen des Schöpfers
- Beteiligt sein in verbotene sexuellen Beziehungen
- Dem Aufstellen einer Opferstätte außerhalb des Heiligen Tempel
- Überheblichkeit bringt uns dazu, mit dem Erlebnis des Gehinoms ("Fegefeuer") konfrontiert zu werden.34
- Keine Auferstehung zur Zeit der Auferstehung.35
- Wenn G-tt einem Menschen besondere Größe verleiht, meint Er damit, diese auf all seine Nachkommen auszudehnen. Doch wenn einer von ihnen überheblich wird, wird G-tt ihn erniedrigen.36
- Jerobeam, dem ersten König der zehn nördlichen Stämme nach der Spaltung des Reiches, wurde sein Hochmut zum Verhängnis.37
- Wird ein weiser Mann arrogant, wird seine Weisheit von ihm genommen. Wird ein Prophet arrogant, verliert er seine Gabe zu prophezeien.38
- Die heidnischen Könige Pharao, Sancheriv, Nebuchadnezzar und Hiram haben ihr Königreich wegen ihres Hochmuts verloren.39
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