1. Zu Beginn des Wochenabschnitts Wajikra, dem Abschnitt über die Opfer, steht „ein Mensch, wenn er opfert von euch ein Opfer vor dem Ewigen“. Dies ist auf dem ersten Blick unverständlich, denn wenn das „von euch“ sich auf „ein Mensch“ bezieht, dann hätte es heißen müssen „ein Mensch von euch, wenn er opfert“ Weshalb „ein Mensch, wenn er opfert von euch“?
Es ist bekannt wie dieser Vers in der Chassidus-Lehre gedeutet wird und wie damit auch der spirituelle Aspekt des Opferdienstes – in der Seele des Menschen – erklärt wird.
Die Klarstellung unserer Meister seligen Andenkens zum Vers „sie sollen mir ein Heiligtum schaffen und ich werde in ihren Mitten weilen“ ist bekannt: nicht inmitten des Heiligtums, sondern in ihren Mitten, inmitten jedes einzelnen Israels. Daraus erschließt sich, dass alle Dienste, die im physischen Heiligtum erfolgten, ihre spirituelle Entsprechung haben, im spirituellen Heiligtum, welches in jedem Juden existiert.
Dies betrifft alle Dienste, aber desto mehr den Opferdienst, da er – obgleich er äußerlich aus dem Opfern eines physischen Tieres in einem physischen Heiligtum bestand – von seiner inneren Bedeutung her ein spiritueller Dienst war.
Deshalb waren zum Opfern des Opfertieres die Beteiligung der Kohanim mit ihrem Dienst und der Lewi’im mit ihrem Gesang und ihrem Spiel erforderlich, welche spiritueller Natur sind. So steht im Sohar, dass die Aufgabe der Kohanim im Geheimen und im Erfreuen des Herzens – dem Herableiten von G“ttlichkeit bestand, während Gesang und Spiel der Lewi’im ein Emporheben von unten nach oben bedeutet.
Da der Opferdienst also schon im Heiligtum ein spiritueller Dienst war, gilt dies umso stärker beim Opferdienst eines jeden Juden.
Die Erklärung des o.g. Schriftverses vom Alten Rebben lautet: „ein Mensch, wenn er opfert“ – wenn ein Mensch sich der G“ttlichkeit nähern will (da der Inhalt des Opfers hebr. „Korban“, von „karow“ – „nahe“, das Sich-Nähern der Kräfte und Sinne ist), muss es „von euch ein Opfer dem Ewigen“ sein, d.h. dieses Opfer muss von euch allein stammen.
2. Im Gesagten treten zwei Aspekte hervor: a) „von euch“ – das Opfer der g“ttlichen Seele und b) „vom Vieh“, das Vieh, welches sich im Herzen des Menschen befindet, d.h. die Tierseele, von dem der Vers weiter ausführt „von der Kuh und vom Schaf“, was die Stufen der Tierseele bezeichnet, wie es in der Chassidus-Lehre erklärt wird. Denn Sinn und Zweck des G“ttesdienstes bestehen nicht im Dienst der g“ttlichen Seele an sich, sondern eben in der Veredlung der Tierseele. Dies wird im Vers dadurch angedeutet, dass das Opfer für den Ewigen „von euch“ kommen soll, ein „von euch“, welches danach mit Kuh und Schaf verdeutlicht wird. Dieses Opfer nun, wird „ein Opfer vor dem Ewigen“, also höher als der Ewige sein, weil die Läuterung und Veredlung der Tierseele höher als jene g“ttliche Stufe, die mit J-H-W-H (vom Wortstamm haja, howe, jihie hebr. war, ist, wird sein) bezeichnet wird, so wie geschrieben steht „und die Fülle der Ernten liegt in der Kraft des Stieres“.
Daher kann das Opfer „von euch“ nur bis zum Namen des Ewigen aufsteigen. Obwohl es zutrifft, dass das Opfer „von euch“ sich nicht auf „Elokim“ bezieht, welches vom Zahlenwert mit „ha Tewa“ (hebr. die Natur) übereinstimmt, welches im Sohar bei der Auslegung des Verses „jener, der Elokim opfert, soll gebannt werden“ so erklärt wird, dass sich „Elokim“ jene G“ttlichkeit bezeichnet, welche der Natur innewohnt.
Aber trotzdem kann die Veredlung des Körpers und der Tierseele allein nicht noch höher „vor dem Ewigen“ erreichen, welche sich jenseits der Erschaffung aller Welten ist, so wie es steht „wenn die andere Seite gebeugt wird, weilt der Ewige, gelobt ist er, in allen Welten“ – ein Licht, welches in allen Welten gleichermaßen weilt.
3. Die Abfolge bei der Opferung eines physischen Tieres beginnt damit, dass man es zuerst auf ihre Vollständigkeit und Unversehrtheit untersuchte. Erst danach wurde es „zum Opfern erwünscht“. Das selbe trifft auch auf die spirituellen Opfer zu: bevor man daran geht, die Tierseele dem Ewigen zu opfern, muss man zuerst das Vieh – also die Seele – auf ihre Vollständigkeit und Unversehrtheit prüfen.
Deshalb steht am Anfang des G“ttesdienstes die Prüfung. Es gilt, in allen Winkeln und Ecken der eigenen Seele, im Intellekt, den Gefühlskräften und in den drei Kleidern Denken, Sprechen und Handeln zu suchen, um jene Orte aufzuspüren, welche nicht taugen, und welche korrigiert werden müssen.
4. Wenn man sich mit dieser Prüfung beschäftigt, und sich eingehend mit der eigenen Position und Situation auseinandersetzt, dann wird man dadurch plötzlich seiner Fehler bewusst, und auch wenn man jetzt keinen Verfehlungen erliegt, so stimmt doch dass „meine Verfehlungen mir stets gegenüber stehen“, dass also jene Verfehlungen, die man früher, seit den Jahren der frühesten Jugend, begangen hat – auch vor der Bar-Mizwa – noch weiter bestehen, da man sich noch nicht mit ihnen auseinandergesetzt und sie korrigiert hat.
Ein Beleg dafür, dass die Verfehlungen noch nicht wirklich korrigiert wurden ist, dass der G“ttesdienst durch wahrhafte Abkehr (hebr. Teschuwa) stärker geworden wäre. Da man früher im Lande der Todesschatten weilte, hätte eine mächtige Umkehr und ein Verlangen nach der Liebe des g“ttlichen das Ergebnis sein müssen, eine Liebe, welche die Sünden in gute Taten verwandelt. Man sieht aber, dass dem nicht so ist.
Noch mehr – wenn man seine wahre Situation eingehend betrachtet, und sich nicht erniedrigt und sich nicht selbst zum Narren hält, dann wird man begreifen, dass man sich an einem vollkommen falschen Ort befindet: nicht nur, dass die Sünden nicht guten Taten gleich wurden, sondern sie sind immer noch Verfehlungen geblieben, von denen man sagt „Verfehlung zieht Verfehlung nach sich“. Daran erkennt man, dass man noch gar keine wahrhafte Umkehr getan hat.
„Meine Verfehlungen stehen mir stets gegenüber“ bedeutet demzufolge nicht nur, dass die früher erfolgte Umkehr für die jetzige Position und Situation nicht mehr ausreichen und dass eine höhere Umkehr notwendig ist. Es bedeutet auch schlicht, dass man die Verfehlungen von Anfang an niemals wirklich korrigiert hat, und dass sie zu einem eisernem Vorhang wurden, durch den man von seinem Vater im Himmel getrennt ist, und welcher einem vom G“ttesdienst abhält.
Wenn ein Mensch sich dies alles vor Augen führt und die Macht des Opferdienstes begreift, welche Kräfte und Sinne G“tt nähern, bis sie vom Feuer des Himmels ergriffen werden, so wie es steht „das Geheimnis des Opfers steigt bis zum Geheimnis des Unendlichen empor“, wird es sich fragen: was habe ich mit dem Opferdienst gemein, wie kann mein Opfer jemals erwünscht werden, da es doch nicht vollkommen und ganz ist?!
Um diese Frage zu beantworten, fügt mein Lehrer und Schwiegervater, der Admor, der Erläuterung des Alten Rebben auf das Wort „von euch“ hinzu: „von euch“ – das heißt, von euch allein hängt es ab. Es hängt nicht von der gegenwärtigen Position und Situation ab und nicht davon, was man bisher durchgemacht hat. Deshalb hängt es allein von uns ab und deshalb darf und kann jeder Jude fragen „wann werden meine Taten, die Stufe der Taten meiner Väter Awraham, Jizchak und Jaakow erreichen?
5. Die Abfolge bei der Darbringung des physischen Opfers ist, dass man sie nach vollzogener Prüfung auf Gänze und Unversehrtheit – schächtet. Auch nach dem Schächten bleibt der Körper des Tieres ganz – man nimmt nur die Lebenskraft. Danach opfert man den Körper des Tieres auf dem Altar und verbrennt gewisse Teile, wie z.B. bei allen Opfern das Fett oder beim ersten Opfer sogar den gesamten Körper mit dem g“ttlichen Feuer, welches von Himmel herabkommt.
So auch im Spirituellen: nachdem man die Makel entfernt hat, kommt es zum Schächten der Tierseele, d.h. man entfernt die Hingabe und Begeisterung in der Beschäftigung mit physischen Dingen. Die Beschäftigungen selber bleiben ganz, jedoch ohne eigene Begeisterung. Sie werden zu Hilfsmitteln, um mehr Kraft für den G“ttesdienst zu erhalten, wie geschrieben steht „Wein und Wohlgeruch schärfen den Geist“ und „iss Fleisch vom Stier und sei nicht übergenau beim Geschmack“, welches sich auf das Gebot „erkenne Ihn auf all deinen Wegen“ bezieht. Alle Taten sollen im Namen des Himmels erfolgen, welches nicht nur bedeutet, dass man alles zum G“ttesdienst verwenden soll, sondern, noch tiefer, das aus alle Dingen zu einem Gebot und etwas Heiligem werden sollen – so wie das Essen am Schabbat, die Schaufäden aus physischer Wolle oder die Gebetsriemen aus physischem Pergament.
So wird das Opfer zu einer Annäherung an G“tt. Körper und Tierseele werden vom g“ttlichen Feuer, der Seele, umfasst, so wie es steht „feurige Strahlen, ist die Lohe G“ttes“ und wie unsere Meister seligen Andenkens ausführten „wie ein Feuer von oben, welches sich auf die Liebe der Seele zu G“tt bezieht, welche ganz Körper und Tierseele ergreifen, bis auch die Tierseele von Liebe zu G“tt ergriffen wird, so wie geschrieben steht „Liebe den Ewigen, deinen G“tt mit deinen ganzen Herzen“, was unsere Meister seligen Andenkens deuten „mit deinen beiden Trieben“.
ב"ה
Heute schon geopfert?
Likkutej Sichot, Band 1, Seite 205-208
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