Wie kann ein begrenzter Sterblicher Kontakt mit einem unbegrenzten G-tt haben? Darüber denken die Menschen seit Jahrhunderten nach. Ein G-tt ist unendlich und unbegrenzt und daher für uns unbegreiflich. Wie also können wir mit ihm verbunden sein? Unsere Weisen gehen im Midrasch auf diese Frage ein und erklären, der folgende Vers beschreibe den spirituellen Zustand der Welt vor der Übergabe der Tora: „Der Himmel ist der Himmel G-ttes, doch die Erde gab er dem Menschen.“ Der Himmel, die spirituelle Ebene, beeinflusste die materielle Ebene nicht. Und die Menschen auf der Erde hatten keinen Zugang zum Spirituellen.

Das änderte sich nach der Übergabe der Tora. G-tt erlaubte eine Kommunikation zwischen beiden Ebenen. Darum steht geschrieben: „Und G-tt stieg auf den Berg Sinai hinab.“ G-tt manifestierte sich und wurde für die Menschen erreichbar. Und es steht auch geschrieben: „Mosche stieg hinauf zu G-tt“; das heißt, wir durften uns und unsere Umwelt von nun an emporheben und mit Spiritualität erfüllen.

Am Sinai gab G-tt uns die Tora, um diese Erfahrung ewig zu machen. Der Sinai war also kein einmaliges Ereignis, sondern er öffnete einen Kanal, durch den wir Menschen heute noch mit G-tt kommunizieren können. Die Lehre der Tora macht G-tt für uns zugänglich, denn er hat sich in der Tora und ihren Geboten manifestiert. Wenn wir ein Gebot des Talmud studieren, verstehen wir G-ttes Wesen. Diese unendliche Dimension, die kein Sterblicher erfassen kann, ist in der Tora enthalten.

Über G-ttes Offenbarung am Sinai, die bis heute andauert, sagen unsere Weisen: „G-ttes Stimme hatte kein Echo.“ Stattdessen durchdrang seine Stimme die materielle Substanz der Welt, und seither „ist die Tora nicht mehr im Himmel“, sondern ein Teil der Welt, in der wir leben. Diese Offenbarung wird von den Mizwot ergänzt, die uns zeigen, wie wir ein G-tt gefälliges Leben führen sollen. Dies ist die Quelle des Wortes „Mizwa“, das mit dem aramäischen Wort „Tsawta“ (Verbindung) verwandt ist. Dank der Tora können wir uns durch unseren Geist mit G-tt verbinden; dank der Mizwot können wir G-tt nicht nur durch unsere Gefühle und Gedanken erreichen, sondern auch durch unsere Taten. Darum ist die Offenbarung am Sinai nicht nur ein vergangenes Ereignis, sondern eines, das für unser heutiges Leben bedeutsam ist.

Deshalb nennen wir G-tt in unseren täglichen Gebeten vor dem Tora-Studium den „Geber der Tora“ und benutzen dabei die Form der Gegenwart. Und die Gegenwart führt in die Zukunft, in der wir den Höhepunkt des Prozesses erleben werden, der am Sinai begonnen hat: die Ankunft des Moschiach.