II. Der Ausdruck „Neiget euer Ohr, o Himmel, denn ich will reden; es höre die Erde die Worte meines Mundes“ wurde auch vom Propheten Jeschajahu in ähnlicher Weise verwendet. Jeschajahu hat jedoch den Wortlaut umgedreht: „Höret, o Himmel, und neige dein Ohr, o Erde.“1
Unsere Weisen2 stellen fest, dass „hören“ sich auf etwas bezieht, das weit entfernt ist, und „das Ohr neigen“3 auf etwas, das nahe ist. Mosche war den Himmeln näher als der Erde; deshalb sagte er: „Neiget euer Ohr, o Himmel ... es höre die Erde.“ Jeschajahu war der Erde näher; deshalb sagte er: „Höret, o Himmel, und neige dein Ohr, o Erde.“
III. Die Seele von Mosche stammte aus dem erhabenen Bereich von Azilut, was bedeutet, dass er sich sogar hier unten auf der Erde auf der Ebene von Azilut befand.4 Der Rambam erklärt also5 im Zusammenhang mit der überlegenen Einzigartigkeit der Prophezeiung von Mosche, dass alle anderen Propheten sich ihrer physischen Realität entledigen mussten, wenn der Geist der Prophezeiung über sie kam, weil ihr physischer Körper die Prophezeiung (die eine Manifestation von Azilut6 ist) beeinträchtigen würde. Mosche hatte dies jedoch nicht nötig. Sein Körper war kein Hindernis für die G-ttlichkeit, sondern vielmehr ein Instrument für die G-ttlichkeit, wie es heißt: „Die Schechina sprach durch seinen Mund.“7
Dies ist auch der Grund für die Unterscheidung zwischen Mosche und den anderen Propheten in Bezug auf die Form ihrer Prophezeiungen. Alle anderen Propheten prophezeiten mit dem Wort „koh – so (d. h., so wie dieses) [hat G-tt gesprochen]“, was sich auf die Welten Beria, Jezira und Asija bezieht. Mosche prophezeite mit dem Wort „seh – dies ist [das Wort]“, das sich auf Azilut bezieht.8
Wenn Mosche also über die Himmel (Azilut) sprach, sagte er „Neiget euer Ohr“, was auf die Nähe hinweist. Wenn er von der Erde sprach (was sich im Allgemeinen auf Beria, Jezira und Asija und im Besonderen auf diese Welt bezieht), sagte er „höre“, was auf Entfernung hinweist.
Der Prophet Jeschajahu wird zu allen anderen Propheten gezählt. Er hatte zwar eine Vision der Merkawa (des „G-ttlichen Wagens“),9 aber es war die der Merkawa auf der Ebene von Beria.10 So sprach er die Himmel (Azilut) mit dem Wort „höret“ an (was auf Entfernung hinweist) und die Erde mit dem Wort „neige dein Ohr“ (was auf Nähe hinweist).
IV. All dies wirft eine Frage auf: Warum musste Mosche von Beria, Jezira und Asija insgesamt sprechen, und warum musste Jeschajahu von Azilut sprechen?
Eine Seele von Azilut sieht alles in Begriffen von Azilut. Azilut ist kein geographisches Gebiet irgendwo. Es ist ein qualitativer Zustand, sogar hier unten, wie in Likkutej Tora11 erklärt wird, dass die Spiritualität nicht durch den Raum begrenzt ist. Mosche hätte also nur von Azilut sprechen sollen!
Ähnlich verhält es sich mit Jeschajahu, der die Merkawa von Beria, Jezira und Asija sah: Warum musste er von den Himmeln sprechen?
Wir können dies im Zusammenhang mit dem Folgenden verstehen:
Die unterschiedlichen Ausdrücke von Mosche und Jeschajahu werden aus exoterischer (halachischer) Sicht damit erklärt, dass Himmel und Erde als zwei Zeugen bezeichnet werden.12 Das Gesetz verlangt, dass die Aussagen der Zeugen übereinstimmen müssen, d. h., sie müssen beide dasselbe sagen. Mosche und Jeschajahu haben daher unterschiedliche Ausdrücke verwendet, so dass, wenn beide zusammengenommen werden, beide Ausdrücke „das Ohr neigen“ und „hören“ bei beiden Zeugen zu finden sind.13
Ähnlich verhält es sich auf der geistlichen Ebene. Azilut muss mit Beria, Jezira und Asija „ausgeglichen“ werden („ihr Zeugnis muss übereinstimmen“): Azilut muss in Beria, Jezira und Asija hineingezogen werden, und letztere müssen in Azilut aufsteigen.
Mosche sprach also auch von Beria, Jezira und Asija, um Azilut in sie hineinzuziehen. Jeschajahu sprach auch von Azilut, um Beria, Jezira und Asija zu Azilut zu erheben.
Die Aufgabe von Mosche war es, von oben nach unten herab zu ziehen. Mosche war also derjenige, der die Tora in die Welt hier unten zog. Die Funktion Jeschajahus war es, von unten nach oben zu erheben: Propheten mahnen, und der Zweck einer Mahnung ist es, einen Aufstieg zu bewirken, sich von unten nach oben zu bewegen. Mosche und Jeschajahu bezogen sich also auf beide Aspekte, um das Obere und das Untere miteinander zu verbinden.
V. All dies bietet die folgende Anleitung zur Awoda:
„Himmel“ bezieht sich auf diejenigen, die „im Zelt [der Tora] wohnen“14, während sich „Erde“ auf diejenigen bezieht, die mit weltlichen Berufen beschäftigt sind.
Beide Aspekte müssen miteinander verbunden werden. Diejenigen, die „im Zelt wohnen“, müssen sich darüber im Klaren sein, dass „wer sagt, er habe nichts außer der Tora ..., der hat nicht einmal die Tora“15, denn es muss auch die Erfüllung der Mizwot geben.16 Das Studium der Tora muss ausdrücklich um des Praktizierens willen erfolgen: „Das Tora-Studium ist bedeutender, weil es zur Tat führt.“17
Laien wiederum, die mit ihren weltlichen Berufen beschäftigt sind, deren Haupt-Awoda die Erfüllung der Mizwot ist, müssen erkennen, dass jeder täglich feste Zeiten für das Tora-Studium haben muss – zumindest „ein Kapitel am Morgen und ein Kapitel am Abend.“18
Der Unterschied zwischen diesen beiden Gruppen von Menschen ist nur in Bezug auf ihre Hauptaufgabe: Jede muss sich in ihrem eigenen Aspekt besonders anstrengen, aber beide Aspekte [das Tora-Studium und die Ausführung von Mizwot] sind für alle von ihnen notwendig.19
Dasselbe gilt auch für diejenigen, die G-tt mit ihrer Seele dienen, und für diejenigen, die G-tt mit ihrem Körper dienen: die ersteren, obwohl ihre Haupt-Awoda sich auf ihre spirituelle Realität (Seele) bezieht, müssen auch um ihren Körper besorgt sein – d. h. „ein Herabziehen nach unten“; und die letzteren müssen auch darum besorgt sein, das Licht der Seele zu hören und von ihm beeinflusst zu werden – d. h. „eine Erhebung nach oben.“
All dies bezieht sich auch auf jede einzelne Mizwa: Es muss sowohl die Handlung der Mizwa als auch die Kawana (Absicht und Geist) der Mizwa geben, denn „eine Mizwa ohne Kawana ist wie ein Körper ohne Seele.“20
(Adaptiert aus einer Sicha gehalten am Schabbat Paraschat Ha-asinu 5718)
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