XVIII. Die Tora wurde in einer Wüste gegeben, einem herrenlosen Ort. Dies soll uns lehren, dass auch die Tora keinen eindeutigen Besitzer hat.1 Sie ist mit jedem Juden verbunden. Wer die Tora studiert, macht sie zu seinem Besitz.

Warum aber wurde die Tora an einem trostlosen Ort gegeben, „einem trockenen und öden Land ohne Wasser“ – einem Ort ohne Kleidung, Nahrung und sogar ohne Wasser? Als die Juden in der Wüste waren, bestand ihre Kleidung aus den Kleidern, die sie hatten und die sich auf wundersame Weise immer wieder an ihre Größe anpassten.2 Als Nahrung hatten sie das Manna,3 und G-tt versorgte sie mit Wasser aus Felsen.4 Warum also wurde die Tora in einer so trostlosen Wüste gegeben?

In einem Maschal (Analogie; Gleichnis) der Tora entsprechen alle Details genau dem Nimschal (Aussage oder Lektion, die daraus abgeleitet werden soll).5 Daraus folgt, dass alle Details der Wüste für Matan Tora relevant sind. Die oben gegebene Erklärung bezieht sich jedoch nur darauf, dass die Wüste ein herrenloser Ort ist, und nicht auf ihre anderen Einzelheiten.

XIX. In Bezug auf die Pflicht, Tora zu studieren, verweisen die Menschen auf alle möglichen Hindernisse. Sie bringen verschiedene Arten von Argumenten und seltsame Ausreden vor.

Wenn man zum Beispiel einen Geschäftsmann bittet, sich Zeit für das Tora-Studium zu nehmen, argumentiert er, dass dies für ihn nicht relevant ist. Er behauptet, er sei ein Geschäftsmann, und sein spirituelles Anliegen sei der Bereich der Wohltätigkeit, und nicht das Studium der Tora.

Er ist sich bewusst, dass ein Geschäftsmann sich mitten in seinen Beschäftigungen zurückziehen muss, um das Mincha-Gebet zu sprechen. Denn das ist bekanntlich der besondere Aspekt des Mincha-Gebetes,6 so dass sogar Elijahu „erst dann wohlwollend erhört wurde, als er das Mincha-Gebet sprach.“7 Er hat also bereits eine sehr wichtige Aufgabe. Warum sollte man ihn dann speziell zum Studium der Tora drängen?

Wenn man ihn auffordert, den wöchentlichen Tora-Abschnitt mit dem Kommentar von Raschi zu studieren, ganz zu schweigen von der täglichen Lektion im Buch Tanja, argumentiert er: „Chassidut verlangt, dass die Awoda des Menschen geordnet und schrittweise erfolgt. Die Priorität muss also auf der Vervollkommnung aller gegenwärtigen Aufgaben liegen, bis hin zum Mincha-Gebet, wie es beim Propheten Elijahu der Fall war. Danach kann man zu höheren Ebenen übergehen.“ Er lehnt, G-tt bewahre, das Lernen von Chumasch mit Raschi oder Tanja nicht ab. Er möchte lediglich alles seiner „richtigen Zeit“ überlassen, wenn er von seinen Sorgen befreit ist und somit einem geordneten Muster folgt.

Ähnlich verhält es sich mit einem Joschew Ohel (jemand, der „im Zelt“ der Tora sitzt8 ). Wenn er aufgefordert wird, eine Haltung zu entwickeln von „Mein ganzes Wesen erklärt ...“9 und „Er weicht nicht [vom Zelt]“10 und so weiter, lehnt er dies nicht ab. Er argumentiert lediglich, dass dies angemessene Vorbereitungen erfordert: Zuerst braucht er ausreichend Ruhe, um einen klaren Kopf zu haben; dann muss er sich darauf konzentrieren, erlesene Speisen zu essen usw. – [es heißt in den Schriften von Alschich11 (und ähnlich in einer Antwort von Rambam12 ), dass erlesene Speisen den Geist verfeinern] – und nach all dem wird er sich dem Lernen widmen.

XX. In Wahrheit aber lehrt uns die Tatsache, dass die Tora in einer Wüste gegeben wurde, in „einem trockenen und öden Land ohne Wasser“, dass wir uns bei der Tora ganz auf G-tt verlassen müssen.

Das jüdische Volk verließ Ägypten und ging in die Wüste, in ein unkultiviertes Land, zum Zweck von Matan Tora. Sie wussten nicht, wie sie es schaffen würden. Schließlich erhielten sie das Manna durch Mosche, die [vor der Sonne schützende] Wolkensäule durch Aaron und Wasser durch Mirjam.13 Sie mussten sich auf das Verdienst dreier Heiliger verlassen, und allein dadurch waren sie bereit, die Tora zu empfangen.

Dies ist auch für uns eine Lektion. Man muss die Tora studieren und sich auf den Allmächtigen verlassen. Der Allmächtige wird dann für alles sorgen, was man materiell und geistig braucht.

(Adaptiert aus einer Sicha gehalten an Schawuot 5711)