VI. Kriege zwischen Israel und Amalek finden wir allgemein bei vier Anlässen: 1) gleich nach dem Auszug des jüdischen Volkes aus Ägypten;1 2) gegen Ende der Wanderschaft Israels in der Wüste, vor dem Einzug in das Land Israel2 (als die Amalekiter sich als Kanaaniter verkleideten3 ); 3) in der frühen Periode der Ansiedlung des jüdischen Volkes im Heiligen Land, nachdem Scha-ul zum König ernannt worden war, aber vor dem Bau des Bet haMikdasch, des Heiligen Tempels4 (denn Israel wurde befohlen, nach dem Einzug ins Heilige Land drei Dinge zu tun, und zwar in dieser Reihenfolge: einen König zu ernennen, Krieg gegen Amalek zu führen und das Bet haMikdasch5 zu bauen); und 4) in der Generation des Maschiach.6
Die jüdische Geschichte lässt sich, seit wir eine Nation wurden, als wir Ägypten verließen, um die Tora zu empfangen, in zwei Perioden einteilen: a) Die erste Periode sind die vierzig Jahre, die Israel in der Wüste verbrachte. In diesen Jahren war Israel nicht mit weltlichen Dingen beschäftigt. Die lebensnotwendigen Dinge, die sich unter den drei Überschriften Nahrung, Kleidung und Unterkunft zusammenfassen lassen, wurden von dem Manna, dem Brunnen von Mirjam und den „Wolken der Herrlichkeit“ bereitgestellt.7 b) Die zweite Periode begann, als Israel das „Land der sieben Nationen“ betrat, um es in das „Land Israel“ zu verwandeln. Diese Periode umfasst auch die Ära der Galut – wenn die Juden in die Länder der verschiedenen Nationen auf der ganzen Welt verstreut werden, um sich dort auf die Erfüllung des Satzes „In der Zukunft wird sich das Land Israel über alle Länder erstrecken“8 vorzubereiten, d. h., sie werden alle in eine Wohnstätte für die G-ttlichkeit verwandelt werden.9
Von den vier oben erwähnten Kriegen mit Amalek finden sich die ersten beiden am Anfang und am Ende der ersten Periode, die anderen beiden am Anfang und am Ende der zweiten Periode.
Zu den beiden Kriegen der ersten Periode ist anzumerken, dass der erste ein Kampf gegen einen offen sichtbaren und erkennbaren Feind war. Im zweiten Krieg hingegen verkleideten sich die Amalekiter als Kanaaniter. Die beiden Kriege der zweiten Periode sind ähnlich gelagert: Der erste, zur Zeit von König Scha-ul, war gegen einen offen sichtbaren Amalekiter. Der zweite Krieg jedoch, der in der Generation des Maschiach geführt wird, d. h., in unserer Generation, die das baldige Kommen des Maschiach in unseren Tagen erleben wird, richtet sich gegen einen verborgenen und verkleideten Amalek.
VII. Von der ursprünglichen Begegnung mit Amalek in der ersten Periode heißt es in der Schrift: Karcha.10 Der Midrasch interpretiert Karcha als Ausdruck von Kerirut (Kälte) und meint damit: „Er hat dich abgekühlt.“11 Mit anderen Worten: Amalek hat nicht getötet, sondern eine Abkühlung der Begeisterung bewirkt.
Zu dieser Zeit marschierte Israel auf Matan Tora (die Übergabe der Tora) zu, bereit, Na-asseh (wir werden tun, gehorchen) vor Nischma (wir werden hören, verstehen lernen) zu verkünden.12 Es gab eine Bereitschaft und Verpflichtung, allem zu gehorchen, was sie hören würden, unabhängig davon, ob es für sie Sinn machen würde oder nicht. Gerade dann kam Amalek, um diesen Eifer zu unterbrechen.
Amalek versucht nicht, uns davon zu überzeugen, die Tora nicht zu empfangen. Schließlich ist auch Amalek ein Nachkomme von Awraham und Jizchak.13 Sein einziges Argument ist: „Warum diese Aufregung? Warum dieser Eifer, über sich hinauszuwachsen und Na-asseh vor Nischma zu verkünden? Warum verpflichtest du dich zu etwas, bevor du überhaupt weißt, worum es sich handelt? Du bist doch ein vernunftbegabtes Wesen, wie aus der Tatsache hervorgeht, dass dir die Tora gegeben werden soll, die ‚eure Weisheit und euer Verständnis in den Augen der Völker‘ genannt wird.14 Es ist völlig unangemessen für einen vernunftbegabten Menschen, über sich selbst hinauszugehen und die Normen und Berechnungen seines Verstandes und seiner Vernunft zu überschreiten, geschweige denn, Na-asseh zu verkünden – eine Verpflichtung, alles zu befolgen, was er hören wird, unabhängig davon, ob er es verstehen wird oder nicht!“
Da Amalek ein Nachkomme Awrahams und Jizchaks ist, stimmt er dem Tora-Studium zu, lehnt aber die Idee ab: „Jaakow, ein einfacher Mann, der in Zelten wohnt.“15 Er argumentiert: „‚In Zelten wohnen‘, d. h. Tora-Studium, ist in Ordnung. Ein ‚einfacher Mann‘ zu sein, einer, der nicht zuerst erforscht, worum es in der Tora geht und was von ihm verlangt wird, sich zu Na-asseh vor Nischma zu verpflichten, das ist jedoch inakzeptabel.“ Amalek folgt dem Weg von Esaw, „einem schlauen Jäger“16 : Er überlegt und berechnet, wie viel er erfassen und in sich aufnehmen kann. Er nutzt seinen Verstand, um seine Fähigkeiten einzuschätzen, um zu entscheiden, wie viel er lernen und beobachten wird. Er folgt einem Verfahren, bei dem es zuerst Nischma gibt, hören und verstehen, und er erst dann entscheiden muss, ob es möglich ist, entsprechend zu handeln oder nicht.
Amalek begründet dies so: „Die Tora bedeutet Wahrheit und ist der Inbegriff von Weisheit. Welchen Unterschied macht es also, ob das Na-asseh dem Nischma vorausgeht oder umgekehrt? Denn selbst wenn man das Nischma vor dem Na-asseh nimmt, wird man am Ende immer noch zum Na-asseh kommen – weil die Vernunft selbst diesen Schluss erzwingt!“
Die Tora hat diesen Gedankengang vorweg gesehen und warnt uns deshalb: Nehmt euch zu Herzen, dass eine Annäherung an Karcha im Sinne von Kälte von selbst zur zweiten Bedeutung von Karcha führt, nämlich Verunreinigung und Unreinheit.17 Das bedeutet, dass die Lebenskraft, die dem Menschen gegeben wurde, um „fruchtbar zu sein und sich zu vermehren und die Erde zu füllen und sie zu erobern“18 – d. h., die ganze Welt zu erobern und sie zu einer Wohnstätte für G-tt zu machen, dass diese Lebenskraft nun dazu benutzt wird, die Kräfte der Unreinheit zu verstärken, G-tt bewahre.19 Dies folgt von selbst aus einer Haltung von Karcha im ersten Sinne, d. h. der Kälte. Vom Zustand des „schlauen Jägers“ verkommt man zum „Mann des Feldes“20 ; man entfernt sich von den Zelten, den Zelten Schems und Ewers,21 von der geschriebenen und der mündlichen Tora.
Die richtige Herangehensweise ist die von Jaakow, dem Isch tam – der schlichten, bescheidenen Person. Sie führt auf den richtigen Weg. So interpretiert die Gemara den Vers „Tumat Jescharim – die Rechtschaffenheit der Aufrechten wird sie leiten“22 : Temimut (Rechtschaffenheit; Einfachheit) leitet diejenigen, die ihr folgen, auf einem geraden Weg.23 Andererseits gibt es diejenigen, die den Weg der „gedankenlosen Volkes“ nicht gutheißen.24 Sie argumentieren, dass die Tora rational ist. In Angelegenheiten, die der Vernunft unterliegen, vor allem, wenn es sich um sehr erhabene und tiefe Vernunftsgründe handelt, darf man nicht voreilig sein. Man muss mit einer methodischen Reihenfolge vorgehen: zuerst „werden wir zuhören“, und erst dann „werden wir tun.“ Aber von denen, die so argumentieren, heißt es: „Die Verdrehungen der Verräter wird sie vernichten“25, d. h., sie wird zur zweiten Bedeutung von Karcha (wie oben erwähnt) führen.
VIII. Dies war die erste Begegnung mit Amalek, zu Beginn der ersten Periode. Gegen Ende desselben Zeitraums, in den letzten Jahren der Wüstengeneration vor dem Einzug des jüdischen Volkes in das Land Israel, kamen die Amalekiter noch einmal, um gegen die Juden Krieg zu führen. Diesmal kamen sie mit einer anderen List: Sie verkleideten sich als Kanaaniter, damit sie nicht als derselbe Amalek erkannt wurden, der sie ursprünglich bekämpft hatte.
Zu dieser zweiten Schlacht kam Amalek nicht als Nachkomme von Awraham und Jizchak. Er kam als Kanaaniter, als Nichtjude, und verkündete, dass er sich nicht in die Angelegenheiten der Tora und der Jiddischkeit einmischen will: „Wenn ihr euch wie Juden verhalten wollt, wenn ihr die Tora studiert, dann ist das völlig in Ordnung, und ich werde mich nicht einmischen. Ich bitte nur um eines: Wenn es um Kanaan geht, folgt mir und unterwerft euch den Kanaanitern!“
Amalek kam zu dem Juden und argumentierte: „Ihr habt jetzt eure Ausbildung abgeschlossen mit der Schulung der Generation der Wüste. Jetzt seid ihr bereit, das Land Kanaan zu betreten, um euch mit all den 39 Arbeiten der weltlichen Tätigkeiten zu beschäftigen.26 Daher ist es notwendig, dass ihr die Sitten und Gebräuche Kanaans lernt, um euch mit dem Land zu verbinden.
„Wenn ihr nicht lernt und die Wege Kanaans übernehmt, könnt ihr nicht erwarten, dort zu überleben. Ihr könnt nicht durch die Welt gehen und Juden bleiben. Wie wollt ihr euren Lebensunterhalt verdienen, wenn ihr den Schabbat und die Feste haltet, für wohltätige Zwecke spendet, den Kindern eine Tora-getreue Erziehung zukommen lasst und so weiter?“
Dies ist die Bedeutung des Midrasch-Kommentars zu dem Vers „Und nahm von ihnen eine Gefangene“:27 Der König von Arad, der Kanaaniter, nahm vom jüdischen Volk eine Magd.28 Mit anderen Worten, der Kanaaniter nimmt den Juden nicht etwas weg, was in ihrem Innersten Teil von ihnen ist; er nimmt nur „eine Gefangene“, etwas, das die Juden selbst von der Welt erbeutet hatten. Der Kanaaniter mischt sich also nicht in das Studium der Tora und die Einhaltung der Mizwot ein. Alles, was er will, ist, dass wir uns, wenn wir die „vier Ellen Tora“ verlassen und in die Welt gehen, genauso verhalten wie der Kanaaniter.
Die Tora offenbart uns also, dass Amalek in diesen Argumenten des Königs von Arad, des Kanaaniters, verborgen liegt. Ein Nichtjude hat keinen Einfluss auf einen Juden, denn der Jude ist im Gegensatz zum Nichtjuden ganz und gar heilig, und zwei Gegensätze können nicht verbunden werden.29 Wenn aber der Kanaaniter kommt, um Krieg zu führen, und Amalek, der Nachkomme von Awraham und Jizchak, in ihm steckt, gibt das Anlass zu allerlei Argumenten – und auch zu den Folgen der amalekitischen Argumente, nämlich: „Er schlug die, die hinter dir schwach waren ...“30
Der König von Arad, der Kanaaniter, argumentiert, dass wir die Wege Kanaans lernen müssen, um das Land betreten zu können. Wir müssen also wissen und uns daran erinnern, dass dies nicht der Weg ist, um das Land Kanaan in ein Land Israel zu verwandeln, ein Land, von dem es heißt: „Die Augen des Ewigen, deines G-ttes, sind immer darauf gerichtet.“31 Außerdem ist dies tatsächlich eine Form des Krieges gegen Israel und gegen das Land Israel. Es handelt sich um denselben Amalek, der Israel daran hindern wollte, die Tora zu empfangen, und der sie in Bezug auf alle heiligen Angelegenheiten abkühlte.
Die Tora enthüllt noch mehr: Dieser Kanaaniter, der König von Arad, verkörpert nicht nur den Amalek, der Matan Tora und die Spiritualität der Juden stört. Er verkörpert auch etwas, das die physische Realität der Juden stört und gegen sie Krieg führt. Dies wurde in den Tagen des Purim-Festes ganz deutlich, das die letztendliche Absicht zeigte, die all diesen Argumenten zugrunde lag, nämlich „alle Juden zu vernichten, zu töten und auszurotten“32, G-tt bewahre, also auch den Körper.
Man muss wissen, dass man das Land Israel nicht betreten kann, indem man den Wegen des Kanaaniters, des Königs von Arad, folgt, sondern im Gegenteil: „Und er hat sie gebannt.“33
IX. Wie oben erwähnt, gibt es eine Analogie zwischen dem zweiten Krieg der ersten Periode und dem zweiten Krieg der zweiten Periode. Am Ende der zweiten Periode, die die Zeit unserer Generation ist, muss man, bevor man das Land Israel betritt, „das Land, auf das die Augen des Ewigen, deines G-ttes, gerichtet sind vom Anfang des Jahres bis zum Ende des Jahres“34, zuerst den Krieg gewinnen, der von dem Kanaaniter, dem König von Arad, geführt wurde.
Wie führt er Krieg? Er kommt zu dem Juden und sagt: „Du musst ein Geschäftsmann sein, also musst du dich wie die meisten Geschäftsleute verhalten. Sei nicht anders als die Nichtjuden. Wenn du eine Arbeit brauchst, dann bereite dich darauf vor, so wie es ein Nichtjude tut. Dazu musst du die Praktiken erlernen, die der Tora zuwiderlaufen: Missachte die Gesetze der Geschäftsethik, etwa durch Verletzung der Rechte anderer, Anschein von Verleumdung, Wucher und so weiter.35 Du musst auch das Studium der Tora vernachlässigen, um in weltlichen Angelegenheiten erfolgreich zu sein.“
„Vor allem anderen“, so argumentiert er weiter, „musst du das Prinzip der G-ttlichen Vorsehung vergessen, das jedes Detail leitet, und dass der Mensch auf Erden nur ein Gefäß zu machen braucht, das geeignet ist, den Segen des Allmächtigen zu empfangen.36 Vergiss all diese Dinge und gehe an alles mit der Einstellung heran: ‚Meine Kraft und die Macht meines Arms haben mir all diesen Reichtum beschert.‘“37
„Mit diesem Sinn für wettbewerbsorientierten Ehrgeiz und dem Gefühl, dass Erfolg in deiner Position schlaue Handlungen und sichtbare Erfolge erfordert, wirst du ein erfolgreicher Geschäftsmann sein, erfolgreich in deinen Geschäften oder in deinem Job, weil du die gleiche Herangehensweise wie ein Nicht-Jude haben wirst.“
Deshalb warnt uns die Tora davor, zu erkennen, wer sich hinter diesen Argumenten verbirgt. Es ist Amalek, der Israel bei der Übergabe der Tora stört. Das ist nicht der Weg, um diese Welt zu einer Wohnstätte für G-tt zu machen, um das Land Kanaan in ein Land Israel zu verwandeln. Vielmehr wird es sich am Ende als der Zweck erweisen, „alle Juden zu vernichten, zu töten und auszurotten“, G-tt bewahre, auch im physischen Sinne.
Der einzige Weg, um sicherzustellen, dass die Juden in ihrem Körper heil bleiben (physisches Überleben), ist die Sicherung der Ganzheit ihrer Seele. Letzteres wird dadurch erreicht, dass „die Rechtschaffenheit der Aufrechten sie leitet“ und dass man denen, die den Enthusiasmus für die Tora abkühlen würden, keinen Zugang gewährt. Dies ist der einzige Weg, um sicherzustellen, dass auch der Körper ganz bleibt, im wahrsten Sinne des Wortes, mit seinen 248 Organen und 365 Blutgefäßen.
Die Tora wird daher als Torat Chajim bezeichnet, als Lehre vom Leben;38 und auch von den Mizwot heißt es: „Er wird durch sie leben.“39 Dies bezieht sich nicht nur auf das Jenseits, die kommende Welt nach Vollendung der 120 Jahre.40 Es ist auch wörtlich gemeint:41 Wenn man wünscht, dass der Jude physisch lebt, mit einem Körper in der physischen Welt, ist der einzige Weg das Studium der Tora – Torat Chajim, die ihm Leben in dieser physischen Welt gibt, und das Befolgen der Mizwot – „Er wird durch sie leben“: ein lebendiger Jude zu sein mit all seinen 248 Organen (entsprechend den 248 positiven Geboten) und 365 Blutgefäßen (entsprechend den 365 negativen Geboten).42 Auf diese Weise erfüllt man das Gebot „Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und erobert sie“, indem man diese ganze Welt in eine Wohnstätte für die G-ttlichkeit verwandelt. So wird sich erfüllen, dass „in der Zukunft das Land Israel sich über alle Länder ausdehnen wird“: Wohin man sich auch wendet, wird man sehen, dass „die Augen des Ewigen, deines G-ttes, auf ihm sind“ – nicht nur an Jom Kippur in der Stunde von Ne-ila oder am Schabbat oder an einem Jom Tow (Feiertag) oder während des Gebets oder des Tora-Studiums, sondern „vom Anfang des Jahres bis zum Ende des Jahres.“43
(Adaptiert aus einer Sicha gehalten am Purim 5712)
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