I. In Paraschat Schemini geht es um die reinen Tiere, die wir essen dürfen, und um die unreinen, die wir nicht essen dürfen.1 Die Tora gibt zwei Zeichen an, an denen man ein reines Tier erkennt: Es käut wieder, und es hat gespaltene Hufe.2
Es wurde die Frage aufgeworfen,3 ob der Status der Reinheit oder Unreinheit selbst durch diese Zeichen bestimmt wird. Mit anderen Worten, die Frage ist, ob die Tatsache, dass das Tier wiederkäut und gespaltene Hufe hat, es zu einem reinen Tier macht, während das Fehlen dieser Zeichen es unrein machen würde. Alternativ könnte man diese Zeichen auch nur als äußere Merkmale betrachten, an denen man ein reines Tier erkennen kann; d. h., das Tier ist aus ganz anderen Gründen rein, aber damit wir es als reines Tier erkennen können, hat der Allmächtige ihm diese Zeichen gegeben, damit wir es als solches identifizieren können.
Es gibt einen praktischen Unterschied zwischen diesen beiden Alternativen:
Das Tora-Gesetz besagt: ,„Was vom Reinen kommt, ist rein ...“4 – auch wenn es nicht die Erkennungsmerkmale der Reinheit besitzt. Wenn zum Beispiel ein reines Tier Nachwuchs hat, deren Hufe nicht gespalten sind, ist dieser Nachkomme auch rein, weil er von einem reinen Tier geboren wurde. Es spielt keine Rolle, dass ihm selbst die Zeichen der Reinheit fehlen.
Wären die Zeichen nun lediglich Erkennungszeichen (wie in der zweiten Alternative), so würde diese Entscheidung auch aus rein logischer Sicht folgen: Da es sich um den Nachwuchs eines reinen Tieres handelt, bedarf es keiner weiteren Zeichen. Wenn jedoch die Zeichen selbst die Reinheit bestimmen, dann müsste logischerweise der Nachkomme mit nicht gespalteten Hufen als unrein angesehen werden. Die Tatsache, dass er dennoch als rein befunden wird, müsste dann als biblisches Dekret angesehen werden.
Die Tatsache, ob die Reinheit durch logische Überlegungen oder durch ein biblisches Dekret bestimmt wird, hat wiederum rechtliche Auswirkungen:
Es ist nicht erlaubt, mit reinen Nahrungsmitteln zu spielen. Dies gilt jedoch nur, wenn es sich um eine an sich reine Art handelt. Wenn jedoch die Art an sich unrein ist, aber durch ein biblisches Dekret für rein erklärt wird, gilt dieses Verbot nicht.
Diese Unterscheidung lässt sich im Zusammenhang mit dem Vers „Der Leviathan, den Du gemacht hast, um mit ihm zu spielen“5 nachweisen. Der Jeruschalmi6 fragt, wie man mit einem reinen Geschöpf spielen kann, und antwortet: Der Leviathan ist an sich ein unreines Tier, aber er wurde durch einen besonderen Erlass für rein erklärt. Daraus folgt, dass man mit ihm spielen darf, wenn die Reinheit allein auf ein biblisches Dekret zurückzuführen ist.
II. Es gibt eine Reihe von Beweisen dafür, dass die Zeichen der Reinheit die entscheidenden Faktoren für die Reinheit sind. Der Text der Heiligen Schrift selbst scheint dies zu bestätigen, wenn er sagt, dass bestimmte Tiere verboten sind, „weil es wiederkäut, aber keine gespaltenen Hufe hat ...“7
Ein weiterer Beweis lässt sich aus dem halachischen Urteil ableiten, dass ein Feldhahn verboten ist.8 Tossafot9 merken an, dass wir im Fall des Feldhahns nicht die Regel anwenden: „Was vom Reinem kommt, ist rein“; denn die Mutterhenne hat kein Küken geboren, sondern lediglich ein Ei gelegt, aus dem sich das Küken vom Boden aus entwickelte. Es ist also verboten, weil es die Merkmale der Unreinheit aufweist. Wenn nun die Zeichen nur der Identifizierung dienen und wir die Art dieses Vogels unabhängig von diesen Zeichen kennen, welchen Unterschied sollte es dann machen, dass er die Merkmale der Unreinheit hat? Daraus folgt zwangsläufig, dass die Zeichen selbst den Status der Reinheit bestimmen. Der Grundsatz „Was vom Reinem kommt, ist rein“ ist einfach eine biblische Vorschrift, und wenn sich der Vogel „vom Boden aus entwickelt hat“, gilt dieser Grundsatz nicht.
Welcher Zusammenhang besteht also zwischen den Merkmalen „wiederkäuen und gespaltener Huf“ und der Reinheit? Diese Frage muss beantwortet werden, selbst wenn wir sagen würden, dass diese Zeichen lediglich dazu dienen, Tiere zu identifizieren, die rein sind. Denn letztlich ist alles in der Welt von der G-ttlichen Vorhersehung bestimmt, die sich auf alle Einzelheiten bezieht, und das gilt erst recht für Tora und Mizwot. Die Tatsache, dass gerade diese Merkmale die Zeichen der Reinheit sind, beweist, dass sie untrennbar mit der Reinheit verbunden sind – zumindest als Resultat der Reinheit (zum Zweck der Identifizierung), wenn nicht als Ursache (zur Bestimmung der Reinheit) wie in der ersten Alternative.
III. Eine der Begründungen für die Speisegesetze10 liegt darin, dass alles, was der Mensch isst, sich in Blut und Fleisch verwandelt und zu einem integralen Bestandteil des Menschen wird. Die Tora untersagte also die verbotenen Nahrungsmittel, um zu verhindern, dass der Mensch die schlechten Eigenschaften der verbotenen Nahrungsmittel in sich aufnimmt.
Dieser Grundsatz gilt auch für das Konzept der Zeichen von Reinheit und Unreinheit. Wenn es verboten ist, Tiere zu essen, die nicht wiederkäuen und keine gespaltenen Hufe haben (um eine Aufnahme von schlechten Eigenschaften dieser Tiere auszuschließen), so folgt daraus, dass das richtige Verhalten für den Menschen ein solches sein sollte, das die Konzepte der gespaltenen Hufe und des Wiederkäuens umfasst.
IV. Jeder Aspekt der Tora lehrt und unterweist den Menschen.11 Wenn es also Zeichen für ein Tier gibt, die zumindest dazu dienen, seine Reinheit zu erkennen, dann lehrt uns das, dass die Merkmale des Wiederkäuens und des gespaltenen Hufes auch dazu dienen, zu erkennen und zu unterscheiden, ob das Verhalten des Menschen rein ist oder, G-tt bewahre, das Gegenteil.
Es gibt noch ein weiteres Detail in dieser Lehre. Die Tora erwähnt diese Merkmale oder Zeichen im Zusammenhang mit der Bestimmung der Reinheit eines Tieres. Ihr geistiges Gegenstück im Menschen bezieht sich also auch auf das „Tier“ im Herzen des Menschen, d. h. die „tierische Seele.“ Sie sind nicht dazu da, Dinge zu prüfen, die mit der G-ttlichen Seele zu tun haben, d. h., um festzustellen, ob die Tora und die Mizwot des Menschen wirklich lischma (um ihrer selbst willen; aufrichtig) oder mit Hintergedanken behaftet sind. Denn auch wenn es Hintergedanken gibt, muss man die Tora lernen und die Mizwot befolgen: „Eine Person sollte immer studieren und Mizwot befolgen, auch wenn es nicht lischma ist, (denn auch das Tun ohne lischma wird zum Tun von lischma führen).“12 Wenn es einen Bedarf an Unterscheidung gibt, dann ist es für physische Angelegenheiten, die mit der tierischen Seele zusammenhängen. Bei diesen muss man feststellen, ob das „Tier“ rein ist oder nicht.
Beide Arten von Tieren, die reinen und die unreinen, werden in der Tora erwähnt. Das bedeutet, dass man die Tora befolgen und trotzdem ein unreines Tier sein kann. Ramban merkt daher an, dass jemand ein „Verwerflicher im Bereich der Tora“ sein kann (d. h., sein Verhalten scheint den Richtlinien der Tora zu folgen, aber in Wirklichkeit kann er das fundamentale und grundlegende Gebot „Ihr sollt heilig sein“ verletzen).13 Um also zu erkennen, was ein „reines Tier“ ausmacht, bietet die Tora zwei Anzeichen: a) gespaltene Hufe und b) wiederkäuen.
V. Auch bei Tieren gibt es einen grundsätzlichen Unterschied zwischen Kopf und Fuß, wie aus den Gesetzen über Terefot (Tiere mit organischen Defekten) usw. hervorgeht. Im Übrigen sind auch bei einem Tier nur die Füße nahe am Boden, auf der Erde. Die Implikation im Hinblick auf die Analogie zum Menschen: Nur die „Füße“ der tierischen Seele, d. h. nur ihre Fähigkeiten der Asija (des Handelns), sollten – wo nötig – mit der materiellen oder weltlichen Realität, den „irdischen Dingen“, zu tun haben,14 nicht aber ihre höheren Qualitäten (der „Kopf“).
(Zur Zeit des Rebben Raschab gab es einen Chassid, einen stattlichen und mit vielen Talenten gesegneten Mann, der ein Geschäft mit Galoschen [Überschuhe] betrieb. Der Rebbe Raschab sagte dann zu ihm: „Ich habe Füße in Galoschen gesehen; aber ein Kopf in Galoschen ...?“)
Aber auch in Bezug auf den Fuß muss es einen Huf zwischen dem Fuß und dem Boden (der Erde) geben, ein trennendes Element zwischen den Füßen und der Welt.
Dieser Huf, der ein trennendes Element und eine Verbergung bedeutet, muss noch gespalten sein. Das bedeutet, dass auch in den irdischen Dingen eine Erleuchtung des G-ttlichen vorhanden sein muss, damit man das G-ttliche in ihnen erkennt.15
– (Dies entspricht einer Diskussion über den Begriff des Haares in der chassidischen Lehre:16 Das unbedeckte Haar einer Frau wird als Nacktheit betrachtet.17 Auch von den Leviten heißt es: „Sie sollen mit dem Rasiermesser über ihr ganzes Fleisch fahren.“18 Von einem Nasiräer hingegen heißt es: „Er soll sein Haupthaar ungehindert wachsen lassen.“19 Chassidut erklärt, dass dort, wo es wenig Lebenskraft und Licht gibt, Haare ein Mangel sind (denn Haar bedeutet Zimzum – Einschränkung, Verdichtung; außerdem befindet sich zwischen der Quelle des Haares und dem Haar selbst der Schädel als trennendes Element). Wo es jedoch eine Fülle von Vitalität und Licht gibt, sollte es Haare geben. So heißt es über den Nasiräer: „Er soll heilig sein und das Haar auf seinem Haupt ungehindert wachsen lassen.“ Ebenso verhält es sich mit dem Huf eines Tieres, der gespalten sein muss, damit das Tier rein ist.20 ) –
So heißt es im Tanja, dass man sich „auch in weltlichen Dingen nicht von G-tt, dem Einzig-Wahren, trennen darf.“21
Der Huf muss also ganz gespalten werden, von oben bis unten.22 Denn nur dann kann das Tier ein reines Tier sein. D. h., nur dann kann das Tier im Menschen – die physische Realität, die wegen des Körpers notwendig ist – ein reines Tier sein.
So heißt es in Kehilat Jaakow (von R. Jaakow Zwi Jolles, dem Autor von Melo Haro-im), dass das Wort Behemah (Vieh, Tier) ein Akronym für „Basar hajored min haSchamajim – Fleisch, das vom Himmel herabkommt“23 ist, denn das ist sicherlich ein reines Tier, da „nichts Unreines vom Himmel herabkommt.“24
VII. Es gibt noch einen weiteren Aspekt der gespaltenen Hufe.25 Die Hufe sind zweigeteilt, um anzuzeigen, dass unser Gehen auf dieser Erde, d. h. unsere weltlichen Beschäftigungen, die beiden Prinzipien „Die rechte Hand zieht heran, und die linke Hand stößt weg“ beinhalten müssen.26
Es gibt diejenigen, die ausschließlich das Prinzip „Die rechte Hand zieht heran“ anwenden, ohne jede Einschränkung. Sie argumentieren, dass es sich für die Annäherung der Juden an die Tora lohnt, in Fragen der Tora flexibel zu sein und die Tora sogar, G-tt bewahre, an zeitgenössische Trends anzupassen.
Allerdings muss man in der Tat alle Juden der Tora nahebringen. So heißt es in der Mischna: „Liebe die Menschen und bringe sie nahe zur Tora.“27 Wie bereits mehrfach erörtert,28 bedeutet dies, dass man auch diejenigen lieben und sie nahebringen muss, die als bloße „Geschöpfe“ eingestuft werden, d. h., sie haben keine andere Eigenschaft als die Tatsache, dass sie Geschöpfe G-ttes sind.29
Zu argumentieren, dass man aus diesem Grund, G-tt bewahre, die Tora reformieren sollte – was in Wahrheit bedeutet, sie zu deformieren – steht im Widerspruch zu allem, wofür die Tora steht. Das geht aus der Mischna selbst hervor, denn dort heißt es: „Bringe sie nahe zur Tora“, im Gegensatz dazu, die Tora zu zerren und zu reformieren, um sie ihren Neigungen anzupassen.
Selbst wenn es wahr wäre, dass ein solcher Ansatz die Juden nahebringen würde, muss man wissen, dass das Tora-Gesetz es ausschließt, auch nur die kleinste Nuance der Tora zu ändern, sei es die Heilige Schrift selbst oder eine rabbinische Verordnung, und selbst wenn sie von unseren maßgeblichen Meistern in den letzten Generationen eingeführt wurde.30
(Die einzigen Änderungen, die möglich sind, sind die, die von einem authentischen Propheten genehmigt wurden; und selbst dann kann eine solche Änderung nur eine vorübergehende Maßnahme für den Moment sein. In einem solchen Fall ist es selbst ein Gesetz der Tora, nicht weniger als jedes andere, dass man ihm gehorchen muss. So war es auch mit dem Propheten Elijahu auf dem Berg Karmel: Er war ein authentischer Prophet, und seine Anweisungen waren eine vorübergehende Anordnung, die für einen Notfall notwendig war.31 Außerhalb dieser Bedingungen ist selbst die geringste Abweichung von der Tora verboten, unabhängig davon, welche positiven Auswirkungen sie haben könnte.
Außerdem ist es eine Tatsache, dass man mit irgendwelchen Veränderungen nichts erreichen und die Juden der Tora nicht nahebringen wird. Im Gegenteil: Es wird die Dinge viel schlimmer machen, und die Übertreter selbst werden von den Veränderungen so gefangen sein, dass sie sich schließlich ganz von Tora und Jiddischkeit entfernen werden.
Es gibt ein bekanntes Gleichnis meines Schwiegervaters, des Rebben: Wenn sich ein Mensch im Wald unter wilden Tieren verirrt, ist es ganz offensichtlich, dass er nicht direkt von seinem Haus in den Wald gegangen ist. Zuerst nahm er den königlichen Weg des Königs des Universums. Dann wich er um eine Haaresbreite von diesem königlichen Weg ab, und daraufhin um eine weitere Haaresbreite, gefolgt von einer weiteren und noch einer weiteren, bis er sich plötzlich mitten im Wald unter wilden Tieren wiederfand.32
VIII. Das Zeichen des gespaltenen Hufes allein ist noch nicht ausreichend. Es muss auch das Zeichen des Wiederkäuens vorhanden sein.
Man muss jede alltägliche Tätigkeit, die man vorhat, sehr sorgfältig „durchkauen.“ Man muss klären und ein ums andere Mal entscheiden, ob man es überhaupt tun will, und wenn ja, wie man es tun will. Nur dann wird es ein „reines Tier“ sein.
In der chassidischen Terminologie33 ist dies der Prozess von Birurim, der zuerst Birur Ban und dann Birur Mah verlangt.34
IX. In diesem Zusammenhang gibt es eine weitere ethische Lektion, die aus den Zeichen der Reinheit für Geflügel abzuleiten ist.
Bei Geflügel können wir uns nicht allein auf Zeichen verlassen, sondern benötigen auch eine Tradition, die die Reinheit dieser Art bestätigt.35 Man könnte sich fragen, warum wir eine solche Tradition brauchen. Die Wahrnehmung der Zeichen scheint uns zu genügen, um es zu wissen. Dies lehrt uns jedoch, dass man sich nicht auf seine eigene Intelligenz verlassen kann. Es ist möglich, den Schulchan Aruch (Kodex des jüdischen Gesetzes) zu studieren und sogar ein Verhalten an den Tag zu legen, das der eigene Verstand für „jenseits der strengen Anforderungen des Gesetzes“ hält, und doch gleichzeitig in den tiefsten Tiefen zu sein, G-tt bewahre. Es muss eine Tradition geben! Das Wort Mesora (Tradition) ist mit dem Wort Mesira, Hingabe und Zusammengehörigkeit (Hitkaschrut) verwandt. Es muss Hitkaschrut zu einem Rebben geben, zu einem „Meister in der Jagdkunde“, d. h. zu einem Rebben, der sich mit der Rettung der jüdischen Seelen beschäftigt hat und „mit ihnen und ihren Namen vertraut ist“, um sie vor den Verführungen der bösen Neigung zu bewahren.36
(Adaptiert aus Sichot gehalten am Schabbat Re-eh 5710 und Schemini 5716)
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