Jeden Nachmittag betrat Rabbi Ahron Sakan das jüdische Zentrum Rokaway Parks in New York. Örtliche, jüdische Familien, deren Kinder auf nichtjüdische Schulen gingen, schickten sie dort zu Rabbi Ahron, damit sie sich jüdische Kenntnisse aneigneten. Rabbi Ahron sah darin eine große Aufgabe, welche sich allerdings als nicht so einfach herausstellte. Die meisten dieser Kinder kamen nur in den Religionsunterricht, um das Gewissen ihrer „nervigen“ Eltern zu beruhigen. Viel mehr wollten sie wie alle anderen Kinder spielen, als von biblischen Geschichten gelangweilt zu werden. Rabbi Ahron seinerseits investierte viel Kraft für diesen Unterricht, in der Hoffnung, den Kindern wenigstens einige jüdische Werte zu vermitteln.
Aber mit den Jahren sah Rabbi Ahron keinen Lohn für seine Bemühungen. Die Schüler bauten keine warmherzige Beziehung zu ihm auf und seine Lehren stießen auf taube Ohren. In seiner Verzweiflung schrieb er dem Lubawitscher Rebben ausführlich über seine Lage und dass er keinen Sinn mehr sehe, in Rokaway Park weiter zu unterrichten. Kurz danach erhielt er einen Brief vom Rebben. Dieser ermutigte ihn sehr wohl weiter zu machen und gab ihm sogar das Versprechen, die Früchte seiner Arbeit zu sehen. Das Versprechen des Rebben gab Rabbi Ahron neue Kräfte und er setzte seine Arbeit sogar mit noch mehr Motivation als zuvor fort. Nun begann er auch seine Schüler zu den Schabbatmahlzeiten einzuladen, um ihr Herz fürs Judentum durch die wunderschöne Schabbatatmosphäre zu erwärmen. Seine Gattin und er taten wirklich alles, um ihnen den Schabbat so schön und angenehm wie möglich zu gestalten. Aber mit jedem Schabbatausgang teilten sie dasselbe, trostlose Gefühl, nämlich wie uninteressiert die jungen Gäste am Judentum zu sein schienen.
In den kommenden zehn Jahren veränderte sich das Gesellschaftsbild in der jüdischen Gemeinde Rokaway Parks drastisch. Sie verkleinerte sich so sehr, bis man beschloss, das jüdische Zentrum, in dem Rabbi Ahron unterrichtete, zu schließen. Rabbi Ahron verlor seinen Posten als Lehrer und somit auch endgültig seine Chance, jüdische Kinder zu unterrichten. Seinen Lebensunterhalt verdiente er fortan als Ladenbesitzer.
Seither vergingen dreißig Jahre. Es war an einem späten Donnerstag-Nachmittag, als Frau Hecht, welche ein Geschäft neben Rabbi Ahron hatte, aufgeregt in seinen Laden eilte. Dieser war schon dabei zu schließen, sie aber wollte ihm noch unbedingt etwas erzählen. „Du kennst doch meine jüdische Arbeiterin, Roni. Niemals erzählte sie mir über ihr privates Leben, doch überraschte sie mich, als sie mir ihr Herz öffnete. Sie erzählte mir, dass sie vor einiger Zeit einen netten Mann kennenlernte und deren Bindung wurde immer stärker, bis er ihr schließlich einen Heiratsantrag machte. Allerdings war er Nichtjude. Roni stand vor einem riesigen Dilemma. Und obwohl es ihr sehr schwerfiel, entschied sie sich für das Richtige, und verließ ihn. ,Ich bin stolz auf meine Entscheidung‘, sagte sie strahlend zu mir!“
Rabbi Ahron fand die Geschichte sehr interessant, wollte aber doch schon gehen. „Jetzt kommt der Höhepunkt“, hielt Frau Hecht Rabbi Ahron hin. „Die Willensstärke von Roni hat mich so fasziniert, dass ich mich nicht zurückhalten konnte zu fragen, warum sie denn, als nicht religiöse Jüdin, ihren Freund einfach so verlassen hatte. Was machte es ihr denn aus, dass er Nichtjude sei? Weißt Du, was sie mir geantwortet hat, Rabbi Ahron?“ Dieser zuckte nur ahnungslos mit den Schultern. „In ihrer Kindheit schickten ihre Eltern sie nach der Schule in den Religionsunterricht. Sie konnte ihn nicht ausstehen, vor allem, da ihre Freundinnen nun Freizeit hatten, während sie auf der Schulbank über irgendeine veraltete Religion, in die sie gezwungenermaßen hineingeboren wurde, lernen musste. Hin und wieder aber versuchte sie hier und dort ein paar Wörter aufzuschnappen. Ihr Lehrer war ein Chabad-Chassid, und da war eine Sache, über die er sehr oft sprach. Bis heute bekommt sie eine Gänsehaut, wenn sie darüber nachdenkt. Und zwar, dass ein Jude immer Jude bleibt, und nur mit einer Jüdin heiraten dürfte, damit das jüdische Volk weiter bestehen kann und nicht unter den Völkern verschwindet. Sie sagte, ihr Lehrer hätte dadurch ihr jüdisches Bewusstsein sehr geprägt.“ Auf einmal blickte Rabbi Ahron auf Frau Hecht, als ob er ihre Gedanken lesen konnte und bereits wusste, was nun kommen würde. „Du bist der Lehrer“, offenbarte sie ihm endlich. „Roni war völlig außer sich, als ich ihr erzählte, dass Du gleich neben mir einen Laden hast. Sie dankt Dir von ganzem Herzen, dass Du sie vor einer Mischehe behütet hast!“ Rabbi Ahron erinnerte sich auf einmal an Roni und sein Herz lebte auf. Da gedachte er dem Versprechen des Rebben. Er war überglücklich und bereute keinen Moment in seinen Jahren als Religionslehrer. Den ganzen Schabbat sprach er voller Zufriedenheit über das, was ihm Frau Hecht erzählte hatte.
Mit dieser Glückseligkeit verstarb Rabbi Ahron am nächsten Tag, als er einen schweren Herzinfarkt erlitt. Frau Hecht schilderte Roni von dem Glücksgefühl, welches sie ihrem früheren Lehrer am letzten Schabbat beschert hatte. Sie war sehr gerührt und teilte Rabbi Ahrons Witwe ihr tiefstes Beileid mit.
Nach einiger Zeit traf Roni zwei frühere Schulkollegen aus dem Religionsunterricht. Damals hätte sie nie gedacht, dass sie etwas mit ihrem Judentum zu tun haben würden. Heute aber leben sie als gläubige Juden. Wie sich herausstellte waren es der Unterricht Rabbi Ahrons und die gemeinsamen Schabbatmahlzeiten, welche in ihre Herzen eindrangen. Als sie älter wurden entschlossen sie sich, jüdisch zu leben. Roni schrieb Frau Sakan davon und beendete ihren Brief mit den Worten: „Und wieder durfte ich mit eigenen Augen die Früchte Ihrer teuren Arbeit mitansehen. Ich wünsche Ihnen noch viele dieser Früchte zu sehen, welche auch noch in vielen Generationen ihr Verdienst sein werden!“
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