Im Hause der Grabowskys, in der Ukraine, wurde oft in Erwägung gezogen, nach Israel zu emigrieren. Doch es erschien der Familie unrealistisch, diesen Gedanken in die Tat umzusetzen. Nach gewisser Zeit begann der älteste Sohn Vladimir sich ernsthaft mit der Möglichkeit nach Israel auszuwandern zu beschäftigen. Seine Eltern, sowie sein Bruder Igor, versuchten die Umsiedlung zu verzögern, bis sie alle gemeinsam nach Israel wandern würden. Vladimir weigerte sich zu warten. Er war von einem derart starken Willen gepackt, dass er eines Tages einfach das Haus verließ und nach Israel flog. Vladimir siedelte sich in Ramle in einem kleinen Apartment an, welches er von der Immigrationsbehörde bekommen hatte. Er war Ingenieur von Beruf und versuchte, auf diesem Gebiet einen Job zu finden. Nachdem Vladimir dabei gescheitert war, fand er schließlich eine Arbeit als Gärtner. Seine Eltern bedauerten zu hören, dass sich ihr Sohn mit einer solchen Tätigkeit abfinden musste; und Igor bemühte sich, ihn zu überzeugen, Heim zu kehren. Aber Vladimir zeigte keinerlei Interesse daran. Ihre Meinungsverschiedenheit verursachte, dass sich deren Kontakt verringerte. Das Letzte, was Vladimirs Eltern von ihm hörten, war, dass er von seiner Arbeit entlassen wurde. Nun brach Vladimir den Kontakt völlig ab. Die besorgte Familie versuchte durch Verwandte mit Vladimir in Verbindung zu treten, doch ohne Erfolg. Sie riefen in der Immigrationsbehörde an, aber man konnte ihn nicht aufspüren. Igor, der ihn hauptsächlich unter Druck gesetzt hatte, fühlte sich besonders schuldig. Er sagte seinen Eltern, dass er sich nach Israel begeben müsse, um seinen großen Bruder zu finden. Sie fürchteten auch ihn zu verlieren, doch sie akzeptierten seine Entscheidung.

Igor fand ein Apartment in Tel Aviv. Binnen kurzer Zeit fand er Arbeit in einem Vermittlungsbüro für Wohnungen, welches sich vor allem mit Einwanderern aus Russland beschäftigte. Parallel dazu widmete er jeden Tag einige Stunden der Suche nach seinem Bruder. Bei seiner Suchmission gelangte er natürlich nach Ramle. Dort brachte er in Erfahrung, dass Vladimir sein Apartment bereits einige Monate zuvor verlassen hatte. Die Nachbarn erzählten, wie einsam er schien und sich in dem Wohnviertel nicht zurechtfand.

Igor ging zur Gesellschaft, welche Vladimir als Gärtner beschäftigte. Vom Direktor vernahm er, dass Vladimir zu Beginn sehr fleißig arbeitete, doch mit der Zeit bedrückte ihn die Tatsache, wie denn ein so talentierter Akademiker wie er gezwungen war, eine solche Arbeit zu verrichten. Sein Kummer nahm ihm jegliche Arbeitsmotivation und führte schließlich zu seiner Entlassung. Igor begann sich ernsthafte Sorgen zu machen. Doch er gab die Hoffnung nicht auf; er versuchte Vladimir auf andere Wege zu finden. Er schrieb eine Vermisstenanzeige in der Zeitung auf Russisch; erkundigte sich wiederholt beim Amt für Einwanderung, aber kein Zeichen von Vladimir. Nachdem Igor alle Möglichkeiten ausgeschöpft hatte, kam ihm der Gedanke, dass sein Bruder nach Amerika ausgewandert war; so wie viele enttäuschte Immigranten. Igor wollte diese Vorstellung nicht wahrhaben. Falls er ihn im kleinen Israel nicht finden konnte, wie sollte er ihn dann im großen Amerika aufspüren?! Außerdem hatte Igor großen Erfolg in seiner Arbeit, und diese Tatsache belastete die Entscheidung, das Land zu verlassen. Doch da er aufgrund der Sorgen keine Ruhe fand, nahm er sich zwei Monate frei und flog nach Amerika; aber auch dort blieb er erfolglos. Igor gab sich mit dem Verlust seines Bruders ab.

Am Freitag, drei Tage vor seiner Rückreise nach Israel, entwickelte sich ein Dialog zwischen Igor und einem jüdischen Mann, welcher mit ihm im Hotel weilte. Igor erzählte ihm die Tragödie. Der Mann schlug ihm vor, den Lubawitscher Rebben um Segen zu bitten. Igor, der sich der Religion ganz und gar nicht nahe fühlte, reagierte sehr skeptisch: „Lass mich in Frieden mit Rabbinern! Ich glaube nicht an solche Sachen!“

„Was hast Du zu verlieren?“, erwiderte der Mann. „Selbst ich kenne den Lubawitscher Rebben nicht, aber man erzählt viele Geschichten über ihn, sogenannte Wundergeschichten.“ Igor überlegte; von seiner Sicht aus war die Suche beendet, und er befand sich ohnehin in New York. Was machte es ihm also aus, einige Stunden am Sonntagmorgen zu „verschwenden“ und in der Reihe zu stehen, um vom Lubawitscher Rebben einen Segen zu erhalten?

So tat Igor; nach langwierigem Warten trat er vor den Rebben. Er erzählte ihm, dass er seinen Bruder bereits länger als ein Jahr suchte und nicht fand. Nachdem der Rebbe seine Worte vernommen hatte, überreichte er ihm einen Dollar und sagte: „Gib diesen Dollar als Spende, und Du wirst Deinen Bruder finden!“ Igor verstand nicht wirklich den Zusammenhang zwischen dem Dollar und dem Wiederfinden seines Bruders. Er empfand dies als abergläubische Hoffnung. Er steckte den Dollar in seine Geldbörse und vergaß sehr schnell davon. Seinen Bruder aufgegeben, lag es nun an ihm, nach Israel zurückzukehren, sein Leben aufzubauen und für die Immigration seiner Eltern zu sorgen.

Als Igor in Israel landete, nahm er den ersten Bus nach Jerusalem. Dort bemerkte er eine Reihe von Bettlern auf dem Gehsteig. Er schenkte normalerweise Obdachlosen keine Aufmerksamkeit; doch da erinnerte er sich plötzlich an den Rebben aus Amerika, der ihm einen Dollar zur Spende gegeben hatte. „Vielleicht hilft es“, dachte er skeptisch. „Schlimmstenfalls verliere ich einen Dollar…“ Er zog den Dollar aus der Brieftasche und überreichte ihn dem letzten Bettler in der Reihe. Nach einem kurzen Moment hielt Igor an. Irgendetwas am Aussehen des ungepflegten Bettlers beschäftigte ihn. Er kehrte zurück und betrachtete ihn genauer, und da erkannte Igor, wer vor ihm saß: sein Bruder, Vladimir...