Als Safed durch ein Erdbeben zerstört wurde, kam die kurze Renaissance des jüdischen Lebens zum Stillstand. Die literarischen Werke, die in dieser kurzen Zeitspanne produziert worden waren, wurden jedoch über die jüdische Welt hinweg verbreitet. Allgemein anerkannt war der Jüdische Gesetzeskodex (Schulchan Aruch) von Rabbiner Joseph Karo, der weiter verbessert wurde, als der Oberrabbiner von Krakau, Rabbiner Moses Isserles, ihn mit einem, auf aschkenasischen beziehungsweise europäisch jüdischen Bräuchen basierenden Kommentar versah.

Von Interesse ist es, dass Rabbiner Karo auch ein bekannter Kabbalist war, der den Ari sehr schätzte. Im jüdischen Friedhof in Safed sind Rabbiner Karo und der Arisal nah beieinander begraben. Dies kann man als ein Anzeichen für die totale Synthese des offenbarten Teils der Tora (wie er in dem Jüdischen Gesetzeskodex dargestellt ist) und der mystischen Überlieferung, die vom Arisal erörtert wird, erachten. Der Kabbalist lässt sich durch den Jüdischen Gesetzeskodex leiten, und der Gesetzestexter wird durch die Kabbala inspiriert.

Zu Anfang des siebzehnten Jahrhunderts hat sich die Mehrheit der Juden in Europa niedergelassen. Die wandernde Bevölkerung nahm die Kabbala mit sich, in deren Lehren sich viele der wichtigsten Gelehrten und Leiter der Talmudakademien gut auskannten. (Es soll hier nur angemerkt werden, dass das Studium der Kabbala in den sefardischen Ländern sehr weit verbreitet war, und dass die sefardischen Juden viele Kabbalagelehrte hervorbrachte. So kommt es, dass die Kabbala eine wichtige Rolle in vielen sefardischen Traditionen spielt.)

Gegen den Wunsch des Arisal, die mystische Überlieferung weiter zu verbreiten, blieben viele Teile der Kabbala engen Elitekreisen vorbehalten. Dies war vor allem so, da der Text komplex und die allgemeine Bevölkerung unwissend war.

Während dieser Zeit bekam die Kabbala auch einige Gegner, da einige Quasi-Kabbalisten begannen, okkulte Kräfte zu bekunden. Die Gemeinde distanzierte sich von diesen Einzelgängern und schloss sie in Einzelfällen auch aus. Schabbtai Zwi (1626-1676) war vielleicht der berüchtigtste dieser Fälle. Er behauptete, dass er Kabbalistische Kräfte besitze und der Messias sei. Sein Übertritt zum Islam war ein Debakel, das die Etablierten davon überzeugte, dass Kabbala nur von wahren Gelehrten gelernt werden dürfe, die zuerst den Talmud gemeistert hatten.

Wegen einer Reihe von vernichtenden Pogromen wie zum Beispiel das Chmielnicki Massaker in der Ukraine im Jahre 1648, gewaltigen Umsiedlungen und spirituellem Abfall entwickelte sich eine klaffende Spaltung in der jüdischen Gemeinde. Juden waren im Grunde genommen in zwei Klassen aufgeteilt: Gelehrte und Unwissende, die abwertend als Amei Ha’aretz (wörtlich „Menschen des Landes“) benannt wurden. Obwohl diese ungebildete Klasse aufrichtig und fromm war, waren diese Menschen meist Analphabeten. Sie konzentrierten sich nicht auf das Esoterische oder auf Gelehrsamkeit, sondern auf den tagtäglichen Überlebenskampf als Bauern oder Händler. In dieser Zeit war das jüdische Volk, um es in medizinischer Terminologie auszudrücken, im Zustand einer spirituellen Ohnmacht – die jüdische Seele war unter der Last des bloßen Überlebenskampfes versunken. Der wandernde Jude wurde ein Inbegriff für diese Situation, die Not des Exils (Galut) war tagtägliche Realität. Um einen Menschen aus der Ohnmacht zu holen, bedurfte es früher eines starken Riechsalzes, das die Lebensgeister wecken konnte. Um es mit einem Gleichnis zu erklären:

Es war einmal ein König, der einen einzigen Sohn hatte. Dieser Sohn war der Liebling des Königs und wurde auf die beste Art und Weise herangezogen. Eines Tages wurde der Sohn sterbenskrank. Alle Ärzte des Landes wurden herbeigerufen, jedoch ohne Erfolg. Schließlich schlug ein Arzt eine seltsame Arznei vor. Er sagte, dass man einen bestimmten Edelstein zermalen und das Pulver mit Wasser vermischen solle. Dies solle man dann auf die Lippen des Prinzen auftragen. So könne er vielleicht geheilt werden. „Wo kann man einen solchen Edelstein finden?“ fragte der König. „Ihre Kronjuwelen enthalten einen solchen Edelstein. Sind Sie bereit, ihn entfernen und zermalen zu lassen, um ihr Kind zu retten?“ fragte der Arzt. „Natürlich, es geht um mein Kind“, antwortete der König. Die Arznei wurde zubereitet und erfolgreich angewendet.

In der Analogie entspricht das Kind dem jüdischen Volk im Zustand der spirituellen Ohnmacht. Die Kronjuwelen stehen für die tiefsten Lehren der Tora, welche die Seele wie nichts anderes berühren können. Um das jüdische Volk zu retten, erlaubte der Ewige es, die Kronjuwelen zu entfernen, zu zermalen und in kleinen Tropfen dem schwachen und ohnmächtigen Kind zu verabreichen, um dadurch das Kind wiederzubeleben. Diese starke Medizin ist Chassidut.

Daher sandte der Allmächtige im Jahre 1698 die heilige Seele des Rabbiners Israel Ben Eliezer, der als Baal Schem Tow oder Bescht bekannt wurde, in diese Situation. Der Baal Schem Tow wurde in der kleinen polinischen Stadt Okup geboren. Er wurde mit fünf Jahren ein Waisenkind. Vor seinem Tode sagte sein Vater Eliezer dem kleinen Israel: „Fürchte dich vor nichts und niemandem außer G-tt, und liebe jeden Juden aus ganzem Herzen“. Dieser letzte Wille seines Vaters wurde die Grundlage der Lebensphilosophie des Baal Schem Tow: Das ständige Bewusstsein der G-ttlichen Gegenwart und Ahawat Yisrael, die Liebe des Mitjuden.

Der junge Waise wurde von den Nistarim, einer Gruppe geheimer Kabbalisten, die inkognito wirkten, um das Los ihrer Brüder zu verbessern, aufgezogen. Da die Kabbala einen schlechten Ruf in dieser Zeit hatte, widmete sich diese Gruppe nicht öffentlich dem Kabbala-Studium und lebte offiziel als Arbeiter und Händler. Als der Baal Schem Tow im Alter von 36 Jahren der anerkannte Anführer der Nistarim wurde, begann sein Ruhm sich auszubreiten.

Er ließ sich in der Stadt Mesibuz nieder, fuhr aber oft zu anderen jüdischen Gemeinden, um die Seelen mit dem Elixir des Chassidut zu wecken. Als hochgradiger Gelehrter der offenbarten Teile der Tora versammelte er um sich einen Gelehrtenkreis anderer brillanter Toraexperten, denen er die tiefsten Teile der Tora erläuterte. Er entflammte ihre Seelen, bis sie G-tt mit grenzenloser Freude und Leidenschaft dienten. Während er die Gelehrten aufklärte, hob er auch die Stimmung des allgemeinen Volkes. Er bewirtete sie an seinem Tisch und baute ihr Selbstbewusstsein auf.

Da er als Wunderwirker weithin berühmt war, kamen Tausende zu ihm, um ihn um Rat und Segen zu bitten. Heute gibt es viele Baal Schem Tow Geschichtenbände. Sie enthalten zum Beispiel Geschichten darüber, wie er eine Stadt vor einem himmlischen Urteil rettete oder wie er ein kinderloses Ehepaar segnete u.s.w. Er kam manchmal unerkannt in einer Stadt an. Dann ging er zum Rathausplatz, versammelte um sich herum das Volk und erzählte ihnen in einfachen, aber gewandten Worten, wie sehr G-tt sie liebe. Er sprach über Ahawat Yisrael, die Tragweite der Liebe des Mitjuden ungeachtet seiner Herkunft, Toratreue oder -wissen. Er sprach auch darüber, dass jeder Jude G-ttes wertvolles Kind ist. Außerdem erläuterte er, dass jede Tat, die aufrichtig und aus vollem Herzen ausgeführt wird, sowohl in kosmischer wie auch mikrokosmischer Hinsicht bedeutsam ist. Er ermunterte alle, Baruch Haschem (G-tt sei Dank) zu sagen.

Der Baal Schem Tow erreichte es, eine Bewegung zu schaffen, welche die Rituale und Regeln mit Freude und Aufrichtigkeit erfüllte. Obwohl er selbst keine Bücher geschrieben hat, wurden seine Lehren von seinen Schülern aufbewahrt, vor allem von Rabbiner Dovber, der Maggid von Mezritch, der der Nachfolger des Baal Schem Tow als Führer der Chassidischen Bewegung wurde.

Ein außerordentlich wichtiges Ereignis geschah jedoch an einem Rosch Haschanah. Der Baal Schem Tow bediente sich der Kabbala, um eine Erhöhung der Seele zu den himmlischen Höhen zu erleben. Da traf er die Seele des Moschiachs. Der Baal Schem Tow fragte:“Wann wirst Du kommen?“ Moschiach antwortete:“ Wenn Deine Lehren weit verbreitet sind“ Dies zeigte dem Baal Schem Tow, dass die Zeit gekommen war, wo die mystische Überlieferung die Welt erfüllen sollte. Die Verbreitung der inneren Dimension der Tora war nötig, um die Zeit des Moschiach’s einzuläuten.

Zusammenzufassend kann man sagen, daß an diesem Kreuzungspunkt der Geschichte die G-ttliche Erlaubnis für die weitläufige Verbreitung der Pnimijut HaTora (inneren Dimension der Tora) aus zwei Gründen gegeben worden war: Erstens war eine starke Medizin nötig, um das schwache jüdische Volk im dunklen Exil wiederzubeleben, und zweitens ist die weite Verbreitung von Chassidut eine Vorbereitung auf die Zeit des Maschiach, wenn die ganze Welt mit dem Wissen um G-tt erfüllt sein wird.

Der Baal Schem Tov und der Maggid begannen diesen Verbreitungsprozeß. Mit den Lehren des Rabbiners Schneur Zalman von Liadi, dem Gründer der Chabad Bewegung, wurde dieser Prozess sehr stark beschleunigt.