„Moses erhielt die Tora auf Berg Sinai.“ |
Das Wort „Tora“ bedeutet „Anweisung“ oder „Lehre“. Tora ist G-ttes Lehre für die Menschheit. In der Tora sind 613 Mitzwot für Juden und sieben Mitzwot für Nichtjuden enthalten. Eine Mitzwa ist ein Gebot und, im weiteren Sinne, eine Verbindung. Ein Jude kann sich mit G-tt auf 613 Arten und Weisen verbinden, die das ganze Spektrum menschlicher Aktivitäten umfassen. G-tt gab dem Juden 613 Gebote/Verbindungen, um es ihm zu ermöglichen, im täglichen Leben die Schechina widerzuspiegeln, das G-ttliche Beispiel nachzuahmen, und so die materielle Welt mit dem Geistigen zu erfüllen.
Darin liegt die Bedeutung des Titels: Das auserwählte Volk. G-tt hat das jüdische Volk ausgewählt, ein „Königreich der Priester und ein heiliges Volk“ zu sein (Exodus 19:6). Das Wort „Priester“ bedeutet hier nicht Priester im wörtlichen Sinn, denn nicht alle Juden sind Nachkommen des Stammes Levi, des Stammes der Priester. Dies bezieht sich vielmehr auf die „priesterliche Funktion“. Die Funktion eines Priesters ist es, Menschen näher zu G-tt zu bringen und G-tt den Menschen näher zu bringen. Als Nation soll das jüdische Volk als Priester unter den Völkern fungieren oder, wie es der Prophet Jesaja formuliert, als „Licht für die Völker“ (Jesaja 51:4).
Das jüdische Volk erfüllt diese Verpflichtung, wenn es eine heilige Nation ist, die sich gemäß G-ttes heiligen Geboten verhält. Der Begriff „heilig“ bedeutet getrennt oder verschieden. Die Mitzwot unterscheiden den Juden und trennen ihn in jedem Tätigkeitsbereich vom Rest der Welt. Wenn ein Jude die Mitzwot erfüllt, dann vollbringt er eine Glanzleistung und wird mit G-tt verbunden. Dadurch verschafft er G-tt eine Bleibe in dieser Welt, wodurch er den Sinn der Schöpfung erfüllt.
Als Moses die Tora-Lehre auf Berg Sinai erhielt, erhielt er ihren stofflichen Aspekt, d.h. ihren Gesetzeskodex, und ihren geistigen Aspekt, d.h. die mystische Dimension. Moses war der perfekte Empfänger für diese Weisheit, weil er der bescheidenste Mensch war, den es jemals gegeben hat. Er hatte sein Ego total beseitigt und war einfach ein Instrument des G-ttlichen Willens und Seiner Weisheit. Als Urenkel Levi’s kannten Moses, sein Bruder Aaron und seine Schwester Miriam die mystische Tradition. Sie hatten alle prophetische Erfahrungen, aber Moses war der größte Prophet. Alle anderen erhielten im Schlaf prophetische Rätsel oder Visionen. Moses dagegen erhielt im Wachzustand klare prophetische Mitteilungen.
Darin liegt die Bedeutung des Satzes: „Moses erhielt die Tora am Berg Sinai“. „Kibel“ ist das hebräische Wort für ‚erhielt’. Es ist auch die Wurzel des Wortes Kabbala (erhalten, empfangen), denn die mystische Überlieferung ist, wie alle anderen Teile der Tora, die am Berg Sinai empfangen wurden, nicht das Produkt eines menschlichen Geistes, sei er auch noch so hochentwickelt. Sie ist vielmehr eine Überlieferung, die durch Offenbarung empfangen wurde. G-tt hat dem Menschen im übertragenen Sinn Seine Hand ausgestreckt und nicht umgekehrt. Er hat Moses in beispielhafter Deutlichkeit die G-ttliche Weisheit in esoterischer als auch praktischer Hinsicht offenbart. Obwohl der endliche Geist nicht das Unendliche begreifen kann, kann der Allmächtige G-tt eine Brücke zum Menschen bauen, und das ist dann die Art und Weise, wie man sich mit dem Schöpfer verbinden kann. In der Tora weist Er die ganze jüdische Gemeinde an, wie sie in der Welt leben und nichtsdestotrotz über ihr stehen kann. In der Tora weist Er den Juden an, weder hedonistisch im Materiellen zu schwelgen, noch durch Askese zum Spirituellen zu flüchten, sondern Er ermöglicht es ihm so, den Körper anzunehmen und all seine Funktionen dem G-ttlichen Sinn gemäß zu veredeln. Der Jude soll in der Welt leben und sich von den Grundsätzen der Tora führen lassen. Sie fungiert als Führung durch die mannigfaltigen täglichen Aktivitäten. Gleichzeitig erhebt die Tora die Menschheit und ermöglicht es ihr, sich auf die tieferen Aspekte des Seins zu konzentrieren. Dadurch wird materielle Dunkelheit durch G-ttliches Licht erhellt.
Obwohl am Berg Sinai das Gesetz gegeben wurde, wird man bei näherer Betrachtung des Biblischen Textes erkennen, dass einige Gebote vor Sinai gegeben wurden. Jakob wurde befohlen, nicht den Ischiasnerv zu essen, und einige Sabbatgebote wurden bei Mara gegeben. Das Paschafestritual wurde den Juden vor dem Auszug aus Ägypten befohlen. Was geschah dann am Berg Sinai? Was machte es zu so einem bedeutsamen Ereignis?
Erstens war es hier, dass die G-ttliche Kommunikation mit Moses bestätigte wurde. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte das jüdische Volk große Wunder, die durch G-ttes Diener Moses vollbracht wurden, erlebt. Sie hatten jedoch noch nichts von G-tt direkt gehört. Als das jüdische Volk die 10 Gebote direkt von G-tt so hörte wie Moses, wurde ihr Glaube an Moses und alle seine nachfolgenden Offenbarungen zementiert.
Zweitens hat dieses Ereignis das jüdische Volk explizit begründet. Es war eine Transformation vom Dasein als Gruppe der Nachkommen Jakobs, „Bnei Yisrael“, zum vertraglich gebundenen Volk, das ewig durch die Gebote begrenzt ist.
In kabbalistischer Hinsicht war die Offenbarung am Berg Sinai ein Durchbruch. Um es mit der Midrasch zu sagen war es vor der Offenbarung am Berg Sinai verfügt worden, dass die oberen Welten nicht herab- und die unteren Welten nicht hinaufsteigen konnten. Am Berg Sinai kamen die oberen Welten herab und die unteren Welten stiegen hinauf. Die Bedeutung dieser geheimnisvollen Midrasch ist: Vor der Offenbarung an Berg Sinai gab es eine Trennung zwischen Körper und Seele, zwischen dem Physischen und dem Geistigen, zwischen Himmel und Erde. Es war unmöglich, weltliche Objekte mit natürlicher Spiritualität auszustatten. Die Gebote, die die Vorväter vor dem Erhalt der Tora gehalten haben, führten sie vornehmlich in spiritueller Hinsicht aus. Die geistige Elite, die sich der mystischen Dimension voll bewusst war, war mit beeindruckender Seele und scharfem Verstand ausgestattet. Sie hatte jedoch noch nicht die Gebote in ein praktisches System für die ganze Menschheit integriert. Sinai änderte all dies.
G-tt offenbarte dem Moses, dass Er Himmel und Erde sowie das Materielle mit dem Geistigen verbinden wollte. Von da an war die Barriere zwischen diesen scheinbaren Gegensätzen durchbrochen. Sie existierten nicht mehr als getrennte Einheiten, sondern wurden zu einer Einheit verbunden. Daher weilte wieder die G-ttliche Gegenwart bei den Menschen. Direkt nach der Offenbarung am Berg Sinai beauftragte G-tt Moses, den Tabernakel, der als Haus für das G-ttliche dienen sollte, zu errichten. Der Tabernakel wurde aus Gold, Silber, Zedernholz und anderen wertvollen Materialien hergestellt, die von den Israeliten beigesteuert wurden. Er stellte eine Bleibe für das G-ttliche auf dieser Welt dar. Die Arche, die die Steintafeln mit den 10 Geboten enthielt, befand sich im Innersten Teil des Tabernakels, dem Allerheiligsten. Von dort aus sprach G-tt direkt mit Moses.
Man kann sich natürlich fragen, ob es sinnvoll ist, einen bestimmten Ort für G-tt zu schaffen, da Er doch überall ist. Die Wortwahl der G-ttlichen Anweisungen deckt jedoch ein fundamentales Geheimnis bezüglich des Tabernakels auf. G-tt befiehlt Moses: „Errichte mir ein Heiligtum, so dass ich in ihnen wohnen kann.“ Das Wort ‚ihnen’ deutet auf den Sinn und Zweck des Heiligtums hin, der darin zu sehen ist, das Volk wieder bezüglich G-ttes Gegenwart zu sensibilisieren. Der Tabernakel würde als Brennpunkt dienen, der das Herz und den Verstand des Volkes mit G-tt verbinden würde. Dies würde auch der Sinn und Zweck des Tempels in Jerusalem und, im weiteren Sinne, auch jeder Synagoge sein. Moses schloß, somit den Kreis: Adam hatte durch die Erbsünde die G-ttliche Gegenwart vertrieben, und Moses hatte nun die Schechina wieder auf die Welt heruntergebracht.
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