G-tt sagte: „Lasst uns den Menschen nach unserem Bild erschaffen... G-tt erschuf den Menschen nach Seinem Bilde. Nach G-ttes Bild erschuf Er ihn, als Mann und Frau erschuf Er sie. (Genesis 1:26-27)“ |
Maimonides sagt in seiner dritten Glaubenslehre, dass G-tt keinen Körper hat und dass keine körperlichen Konzepte auf Ihn angewendet werden können. Es gibt überhaupt nichts, was Ihm ähnlich ist. Wenn dem so ist, dann ist aber die Frage, was der Satz: „Lasst uns den Menschen nach unserem Bild erschaffen“ bedeutet. Von welchem „Bild“ spricht die Tora?
Die klassischen Kommentare erklären, dass dem Menschen allein, wie seinem Schöpfer, Vernunft, moralisches Verständnis und freier Wille gegeben wurde. In dieser Hinsicht wird der Mensch als in G-ttes Ebenbild erschaffen beschrieben. Die kabbalistische Interpretation des „Ebenbildes“ ist anders und sehr tiefgreifend. Das Ebenbild G-ttes, das hier angesprochen wird, bezieht sich nicht auf G-tt selbst, den man nicht verstehen kann, sondern auf den Schöpfungsprozess. Der menschliche Geist und Körper spiegelt die spirituelle Infrastruktur der höheren Sphäre und die Sequenz der Schöpfung wider.
Um es mit den Worten von Hiob zu sagen: „Von meinem Fleisch nahm ich G-tt wahr“ (Hiob 19:26). Das bedeutet, dass eine Betrachtung der menschlichen Psychologie und Physiologie zum Verständnis der parallelen geistigen Wurzel in den höheren Sphären führt. Um die verschiedenen Stadien der Schöpfung zu verstehen, beziehen sich die Kabbalisten auf das menschliche Modell und schließen auf das G-ttliche. Dieser Prozess bedarf größter Vorsicht, da, wie zuvor gesagt, keine menschlichen Qualitäten dem Wesen G-ttes zugeschrieben werden dürfen.
Adam HaRischon, der „erste Mensch“, war sich dieses Schöpfungsprozesses wohl bewusst. Um eine Computeranalogie zu benutzen: Sein Festplattenlaufwerk war mit diesem Wissen programmiert. Sein Betriebssystem sprach die Hebräische Sprache, die eine heilige Sprache und die Sprache der Schöpfung ist.
SPRACHE
„Und G-tt sagte: Es werde Licht“ (Gensis 1:3) |
G-tt hat weder Mund noch Stimmbänder. Was bedeutet dann aber der Satz: „Und G-tt sagte“? Die Kabbala erklärt, dass die Kontraktion unendlichen Lichtes und unendlicher Energie und deren Leitung in endliche Behälter mit dem Sprachvorgang vergleichbar ist (siehe Kapitel 12, "Tzimtzum"). Im gesprochenen Wort werden Tausende Gedanken in wenigen Worten zusammengefasst. In den zehn Äußerungen von Genesis kontrahierte G-tt enorme Energien und konfigurierte sie in den Buchstaben des Aleph Bet (Hebräischen Alphabets).
Jeder Buchstabe des Aleph Bet repräsentiert eine G-ttliche Kraft. Buchstabenkombinationen repräsentieren Kombinationen G-ttlicher Kraft, die in der Verschiedenheit der Schöpfung resultieren. Man kann zum Beispiel eine Analogie von der Chemie, dem Studium der Bildung verschiedener Materien durch die Kombination von Elementen, entwickeln. Wenn man Natriumhydroxid mit Chlorwasserstoff mischt, erhält man Salz und Wasser. Natrium ist ein flüchtiges Metall und Chlorwasserstoff ein giftiges Gas, aber in Verbindung erzeugen sie sowohl Salz, das sehr haltbar ist, und Wasser, das Leben erhält. In Analogie enthält jeder Buchstabe des Aleph Bet eine Kombination G-ttlicher kreativer Energie. Wenn Buchstaben kombiniert werden, stellt dies eine komplexe Kombination G-ttlicher Energien dar, die in der Verschiedenartigkeit der stofflichen Schöpfung resultiert. Es gibt 22 Buchstaben im Aleph Bet mit 5 Endbuchstaben, die die Sefer Yetzira mit Bausteinen vergleicht. Kombinationen dieser Bausteine können eine sehr große Anzahl ‚Häuser’ bauen (siehe Kapitel 17, "Tiefgründigere Realität). Adam war sich dieses Wissens wohl bewusst, das wir von nun an die mystische Tradition nennen werden.
ADAM GIBT DEN TIEREN IHRE NAMEN
„G-tt hatte jedes wilde Tier und jeden Vogel des Himmels aus Erde geformt. Er brachte sie zum Menschen, um zu sehen, wie er jedes nennen werde. Wie er jedes Lebewesen nennen werde, so sollte es heißen.“ (Genesis 2:19) |
Warum bat G-tt den Adam, die Tiere zu benennen? Sollten ihre Namen nicht durch Konsensus bestimmt werden? Die Antwort ist, dass Adam die geistigen Komponenten des Schöpfungsgeistes, der jedes Tier erschuf, wahrnahm, und dass er jedes Tier im Zusammenhang mit seiner geistigen Konfiguration benannte. Adam hatte die einzigartige Fähigkeit, durch die äußere Fassade des tierischen Körpers zu blicken und sich auf die durch ihn hindurch fließenden G-ttlichen Energien zu konzentrieren. Die in den Buchstaben des Aleph Bet repräsentierte Kombination G-ttlicher kreativer Energie wurde dann zum Namen des Tieres.
Daher werden alle Geschöpfe direkt durch ihre hebräischen Namen und auch durch die einzelnen Buchstaben ihrer Namen beeinflusst. Deshalb nehmen wir es immer damit sehr genau, den hebräischen Namen zu benutzen, wenn wir ein Gebet für die Genesung eines Menschen sagen. Manchmal können wir sogar dem Kranken einen Namen hinzufügen, und dieser zusätzliche Name bringt zusätzliche Lebenskraft (deshalb fügen wir normalerweise den Namen Chaim für einen Mann und Chaja für eine Frau hinzu, die beide die Bedeutung ‚Leben’ haben).
Die Schechina oder ‚G-ttliche Gegenwart’ weilte ganz offensichtlich im Garten Eden. Für Adam war jede Facette des mineralischen, pflanzlichen und tierischen Reiches eine einzigartige Manifestation G-ttlicher Kreativität; und als Dirigent dieses kosmischen Orchesters leitete Adam die Schöpfung an, sich vor Seiner Herrschaft zu verbeugen.
DIE SCHÖPFUNG VON KÖRPER UND GEIST
Adam stand am kritischen Wendepunkt der Schöpfung. Sein Körper wurde aus Erde geformt – „min ha’adama“; daher der Name Adam. Seine Seele, jedoch, kam von den innersten Aspekten der G-ttlichkeit, als G-tt in seine Nase blies. Der Sohar besagt: „Der Mensch gibt von seiner innersten Lebenskraft, wenn er kräftig bläst.“ So war es auch, als G-tt die menschliche Seele in seine Nase ‚blies’, da blies G-tt von innen. Hiob beschreibt die menschliche Seele als „ein(en) Teil von G-tt da oben“ (Hiob 31:2). Dieser G-ttliche Funke ist von einer irdischen Hülle umgeben. Es ist interessant festzustellen, dass im Hebräischen das Wort Adam aus drei Buchstaben besteht: Aleph, Dalet, Mem. Der Buchstabe Aleph bezieht sich immer auf G-tt, der der Aluf, der Oberbefehlshaber der Welt, ist. Die Buchstaben Dalet und Mem zusammen erzeugen das Wort Dam, das hebräische Wort für ‚Blut’. Das Wort ‚Adam’ ist das Produkt von Aleph, dem G-ttlichen, und Dam, Blut.
Daraus entnehmen wir, dass der Mensch entweder zu großen spirituellen Höhen aufsteigen oder in die Tiefen des Materiellen hinabstürzen kann. Manchmal kann er zwischen krassem Hedonismus und geistiger Ekstase oszillieren. Wie in einem weiteren Kapitel deutlich gemacht werden wird (siehe Kapitel 18, "Der Sinn der Schöpfung"), ist es weder der Sinn der Schöpfung, dass der Mensch ins Geistige flüchten sollte, noch, dass er im Materiellen schwelgen sollte, sondern der Mensch verkörpert die perfekte Synthese zwischen den beiden Sphären.
DIE SÜNDE DER VERBOTENEN FRUCHT
„G-tt gab dem Menschen ein Gebot und sagte: Du darfst von jedem Baum des Gartens essen. Aber vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse iss nicht, denn an dem Tage, an dem du davon isst, wirst du sterben.“ (Genesis 2:16) |
Es würde den Rahmen dieses Buches sprengen, in kabbalistischer Weise zu erklären, warum Adam die verbotene Frucht gegessen hat. Wir können aber die folgende Beobachtung anstellen: Bevor der Mensch die verbotene Frucht aß, war das Böse äußerlich. Es war eingeschlossen - im Baum der Erkenntnis und der Schlange. Als der Mensch die verbotene Frucht aß, verinnerlichte er den Kampf um den Unterschied zwischen Gut und Böse. Adam’s Sünde bewirkte, dass die G-ttliche Gegenwart die Welt verließ und begann den uralten Kampf, das menschliche Wesen zu verfeinern und die Welt wieder gegenüber ihrem Schöpfer zu sensibilisieren. Adam wurde aus dem Garten Eden verwiesen. Er wurde dazu verurteilt, dass seine Nachfahren G-tt durch die Schwierigkeiten des Broterwerbs suchen müssten.
Nichtsdestotrotz wurde die mystische Tradition, auf die Adam programmiert war, seinen Kindern übermittelt. Zur Zeit des Enosch, Sohn des Seth und Adam’s Enkel, entwickelte sich der Götzendienst und verbreitete sich in der Welt. Obwohl sich die Philosophen seiner Zeit einig waren, dass G-tt ein Überwesen ist, irrten sie sich in der Annahme, dass Er die verschiedenen kosmischen Abteilungen, an die Konstellationen, die Sonne, den Mond und die Sterne delegiert habe. Schließlich war das allgemein ungebildete Volk so sehr mit Sternbeobachtung und der Anbetung der Konstellationen beschäftigt, dass es G-tt vergaß.
Das Resultat ihrer Taten war, dass die Schechina, die schon durch Adam’s Sünde einen Grad von dieser Welt weg bewegt war, noch weiter entfernt wurde. Die Midrasch und der Talmud, der über die Existenz von sieben Himmeln oder Firmamenten spricht, beschreiben diesen Prozess im Kommentar zum Lied der Lieder:
Durch die Sünde Adams hat sich die Schechina von der Erde zum ersten Firmament zurückgezogen. Durch die Sünde von Kain und Abel hat sich die Schechina vom ersten zum zweiten Firmament zurückgezogen. Durch die Sünde Enosch’s hat sich die Schechina vom zweiten zum dritten zurückgezogen usw. Schließlich hat sich die Schechina durch die Sünden aufeinander folgender Generationen bis zum siebten Firmament zurückgezogen. Mit Abraham begann der Prozess der Rückkehr, indem er die Schechina vom siebten Firmament zurück zum sechsten brachte. Danach brachte Isaak sie vom sechsten zum fünften usw., bis Moses in der siebten Generation die Schechina auf diese Welt zurückbrachte, wo sie im Tabernakel zur Ruhe kam. |
Es ist zu beachten, dass das Konzept des ‚Rückzugs der Schechina’ nicht bedeutet, dass sich G-tt tatsächlich von der Welt zurückgezogen hat. Vielmehr ist die Welt für ihre Existenz ganz auf andauernde G-ttliche kreative Energie angewiesen, was in einem späteren Kapitel erklärt werden wird (siehe Kapitel 17, "Tiefgründigere Realität"). Vielmehr bezieht sich das Konzept des ,Rückzugs der Schechina’ auf die Unempfindsamkeit der Weltbevölkerung gegenüber G-ttlichkeit. Das Muster ist klar: Sünde erzeugt Unempfindsamkeit. Die Gerechten machen die Welt jedoch wieder empfindsam gegenüber ihrer wahren Realität. Im Kabbalistischen Lexikon wird dies im allgemeinen als Tikkun Olam oder ‚Wiederherstellung der Welt’ beschrieben. Der Sinn und Zweck dieses Unterfangens ist es, die Welt wieder zu ihrem vollkommenen Zustand wie vor dem Sündenfall zu bringen.
Nur eine Handvoll gerechter Menschen war sich in den zehn Generationen zwischen Adam und Noah der Wahrheit bewusst. Schließlich war die Welt so sehr mit Gewalttätigkeit angefüllt, dass G-tt die Welt überflutete, um sie zu reinigen, so etwa, wie wenn man ein spirituell unreines Gefäß in eine Mikwa (ein rituelles Bad für spirituelle Reinigung) taucht. Ein gerechter Mann, Noah, überlebte zusammen mit seinen drei Söhnen Schem, Ham und Jafet die Flut. Noah überlieferte die mystische Tradition seinem Sohn Schem, der sie wiederum seinem Urenkel Eber überlieferte.
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