Moses wurde aufgetragen, die Tora in zwei verschiedenen Präsentationen darzustellen. Diese sind:
1. „Das Aufgeschriebene Gesetz“ – Tora Schebichtaw
2. „Die Mündliche Überlieferung“ – Tora Schebaal Pe.
Das Geschriebene Gesetz bezieht sich meistens auf die 5 Bücher Moses: Genesis, Exodus, Levitikus, Numeri und Deuteronomium, die wir als Tora kennen. Moses hat es eingeführt, dass das in der Torarolle aufgeschriebene Gesetz regelmäßig in G-tteshäusern vorgelesen wird. Heutzutage lesen wir aus der Tora viermal die Woche vor: Am Schabbatmorgen, am Schabbatnachmittag, montags und donnerstags. Das Geschriebene Gesetz ist jedoch etwas undurchdringlich und bedarf der Erläuterung. Deshalb hat G-tt Moses zusammen mit dem Geschriebenen Gesetz die Mündliche Überlieferung übergeben, die jeden Aspekt des Geschriebenen Gesetzes erklärt.
Zum Beispiel heißt es im Deuteronomium, dass man eine Mesusa (Pergamentrolle, die am Türpfosten befestigt wird) an der Tür eines Hauses befestigen soll: „Schreibe sie auf die Türpfosten deines Hauses und auf deine Tore“ (Deuteronomium 6:9). Was in diesem Text nicht klar und detailliert dargestellt ist, ist was geschrieben werden soll, auf was es geschrieben werden soll und wo und wie es an der Tür angebracht werden soll. All dies ist in der Mündlichen Überlieferung erklärt.
In der Mündlichen Überlieferung ist die Kabbala einbegriffen, die in Adam einprogrammiert wurde, von Abraham erhalten wurde und nun in den Toratext einbezogen wurde. In der Tat hat Moses vier Interpretationsebenen für jeden Aspekt der Tora erhalten. Diese vier Ebenen werden Pardes, d.h. „Obstgarten“ genannt. Die hebräischen Buchstaben des Wortes Pardes stehen für die vier Worte:
Pschat – Einfache Bedeutung
Remes – Andeutung (Das, was im Text angedeutet wird)
Drusch – Die Predigtauslegung
Sod – Die mystische Dimension.
Das bedeutet, dass der geschriebene Text verschiedene Erklärungsebenen besitzt. Jeder Satz, und sogar jedes Wort und jeder Buchstabe, hat nicht nur eine wörtliche, sondern auch eine esoterische Bedeutung. Nachmanides, ein bekannter Philosoph und Kabbalist, drückt diese Vorstellung darin aus, dass er erklärt, dass alle Worte der Tora Namen G-ttes sind. Was er damit meint ist, dass es über die wörtliche Bedeutung eines Verses hinaus auch eine mystische Dimension gibt, die dem wörtlichen Sinn überlagert ist.
Um es mit anderen Worten zu sagen: Als Moses die Tora seinen Studenten beigebracht hat, hat er die wörtliche Bedeutung den Massen beigebracht, die Andeutungen und Predigtinterpretationen einer ausgewählten Gruppe, und die tiefste Interpretationsebene, die mystische Dimension, nur wenigen Exklusiven, die sie verstehen konnten.
Moses überlieferte diese Tradiditon dem Jehoschua, und er überlieferte sie wiederum den Ältesten und den Propheten. Es gab immer einen inneren Kreis, der die mystische Überlieferung kannte. (siehe Kapitel 24, Tora-Studium)
Um das Thema besser zu verstehen, ist es sinnvoll, die Annalen der jüdischen Geschichte zu betrachten. Die Juden haben die Tora im Jahr 2448 (1312 B.C.E.) erhalten. Sie sind in das Land Israel im Jahre 2488 eingezogen. 14 Jahre lang war der Tabernakel in Gilgal, und dann war er 369 Jahre lang in Schilo. Die Arche wurde dann nach Nov und Gibeon und schließlich nach Jerusalem gebracht. Hier hat König Solomon den ersten Tempel gebaut. Er stand 410 Jahre lang, bis ihn der Babylonische König Nebukadnezar zerstört hat. Vor der bevorstehenden Zerstörung wurde die Arche in Katakomben unter dem Tempelberg versteckt, wo sie nach jüdischer Tradition noch heute ist. Die Vision, die der Prophet Esekiel kurz vor der Zerstörung des ersten Tempels hatte und auch aufzeichnete, hat große Bedeutung in der kabbalistischen Überlieferung. Die Vision war die eines Wagens, der von Tieren getragen wurde mit der Vision eines Mannes darauf. Diese Vision ist als „Schulung“ oder „Arbeitsweise des Wagens“ (Maase Merkawa) bekannt. Verschlüsselt und in Kurzschrift beschreibt Esekiel die höheren Welten und gibt uns den Schlüssel zum Eintritt in den Pardes sowie in das prophetische Erlebnis.
Das Volk lebte 70 Jahre lang im babylonischen Exil. Es kam unter der Führung von Esra und Nechemia in das Land Israel zurück, um den zweiten Tempel zu erbauen. In dieser Zeit gab es eine große Zusammenkunft von Rabbinern, die Anschei Kneset Hagedola oder „Männer der Großen Versammlung“ genannt wurde. Insgesamt 120 Rabbiner und Propheten versammelten sich. Sie ordneten die Schriften und führten den formellen hebräischen Text unserer täglichen Gebete ein. Die Mitglieder dieser Versammlung kannten sich gut mit der mystischen Überlieferung aus, so dass Struktur, Wortwahl und Inhalt der Gebete kabbalistisch korrekt festgelegt wurden. Jede Nuance der Liturgie, die sie zusammenstellten, ist voller mystischer Bedeutsamkeit und kabbalistischer Kraft.
Der zweite Tempel stand 420 Jahre lang und wurde von den Römern 70 C.E. zerstört. Die Römer schändeten das Land Israel und versuchten systematisch, Tora-Lehrer und ihre Studenten zu vernichten. Bis dahin hatte es eine ununterbrochene Überlieferungskette gegeben, die das Geschriebene Gesetz und die Mündliche Tora zusammen übermittelte. Durch die römische Verfolgung entstand die Gefahr, dass die Mündliche Überlieferung vergessen werden könnte.
Ein wichtiger Rabbiner, Rabbiner Yehuda Hanassi, auch einfach als ‚Rebbi’ bekannt, gelangte zu dieser Zeit zu einer monumentalen Entscheidung. Er entschied, zum ersten Mal in der Geschichte notgedrungen die Mündliche Überlieferung aufzuschreiben. Dies tat er in seinem kurzen Buch, der Mischna.
Die Rabbiner der Mischnahzeit (während der ersten Jahrhunderte dieser Zeitrechnung) wurden Tannaim genannt, und Rebbi sammelte ihre Lehren und schloss sie in der Mischna ein. Die Mischna wurde allgemein in der jüdischen Welt anerkannt. Nach dem Ableben Rebbi’s wurde die Mischna sehr stark diskutiert. Diese Diskussionen wurden über die nächsten Jahrhunderte gesammelt, bearbeitet und dann in einem Werk veröffentlicht, das als der Talmud bekannt geworden ist. In der Tat wurden zwei Fassungen des Talmuds geschrieben, der Jerusalemer Talmud und der Babylonische Talmud. Diese Wissenssammlungen sind so umfassend, dass es, wenn man eine Doppelseite pro Tag studiert, mehr als sieben Jahre dauert, um den Babylonischen Talmud durchzulesen!
Es gibt in der Mischna einige Hinweise auf die mystische Überlieferung. Zum Beispiel steht in der Mischna, dass die „Arbeitsweisen der Schöpfung“ (Maase Bereischit) nicht in der Gegenwart von zwei Studenten ausgelegt werden dürfen. Die Arbeitsweisen des Wagens (maase merkawa) sollen noch nicht einmal in der Gegenwart eines Studenten ausgelegt werden, es sei denn, dass er weise und verständig ist. Der Begriff „Arbeitsweisen des Wagens“ bezieht sich auf die meditativen Methoden, die dazu dienen, in höhere geistige Welten zu gelangen. Viele Autoritäten sagen, dass sich der Begriff „Arbeitsweisen der Schöpfung“ auf die Geheimnisse der Sefer Yetzira bezieht.
Obwohl die Mischna den jüdischen Gesetzeskodex darstellt, haben andere Weise dieser Zeit auch die Seele des Gesetzes beschrieben. Rabbiner Akiwa (50-135 C.E.) ist besonders erwähnenswert. Er war ein Meister der offenen und der verdeckten Aspekte der Tora. Rabbiner Akiwa war der wichtigste Hüter der Überlieferung der Arbeitsweisen der Schöpfung. Es ist außerdem die allgemein vorherrschende Ansicht, dass Sefer Yetzira von Abraham von ihm bearbeitet wurde. Rabbiner Nechunia Ben Hakana und sein Schüler, der Hohepriester Rabbiner Yischmael Ben Elischa, haben die Sefer HaBahir (Buch der Erleuchtung) und die Pirkei Heichalot Rabati (Das Größere Buch der G-ttlichen Gemächer) geschrieben. Das letztere Werk war eines der Haupttexte des Studiums der Arbeitsweisen des Wagens. Es enthielt meditative Übungen, mystische Schulung und Anweisungen zur Erlangung des prophetischen Stadiums.
Obwohl sich der Talmud primär auf den Gesetzeskodex konzentriert, enthält er auch viele Passagen, die sich auf die mystische Überlieferung beziehen. Der Talmud beschreibt, dass Rabbiner Chanina und Rabbiner Hoschia jeden Freitag vor Schabbatbeginn die Sefer Yetzira studiert haben. Unter Zuhilfenahme von Methoden, die in diesem frühen kabbalistischen Werk beschrieben waren, haben sie dann ein Kalb für sich hergestellt, das sie dann am Schabbat gegessen haben.
Trotz der Wichtigkeit dieser Schriften ist der berühmteste kabbalistische Text, der in dieser Ära zusammengestellt wurde, der Sohar.
ב"ה
Die Mündliche Überlieferung
Viertes Kapitel
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