Reb Suscha von Anipoli saß zu Hause beim Tora-Studium, als Lärm ihn veranlasste, aus dem offenen Fenster zu schauen. An seinem Haus marschierte ein Hochzeitszug vorbei mit Braut und Bräutigam an der Spitze. Sofort stand er auf und ging auf die Straße, wo er alle Zurückhaltung ablegte und fröhlich tanzte. Er umkreiste das junge Paar und die feiernden Gäste einige Minuten mit großer Simcha; dann kehrte er in sein Studierzimmer zurück.
Seine Angehörigen hatten ihm erstaunt zugeschaut. Ihrer Meinung nach hätte ein Mann seines Ranges sich vor einem Hochzeitsumzug nicht so verhalten dürfen. Als sie ihm das sagten, entgegnete er: „Ich werde euch eine Geschichte erzählen. Als ich jung war, studierte ich bei dem berühmten Maggid von Slotchow, Reb Jechiel Michel. Eines Tages tat ich etwas Unerlaubtes, und er rügte mich scharf. Ich war sehr verletzt, und da er meinen Kummer spürte, kam er bald zu mir und entschuldigte sich für seine harschen Worte. „Reb Suscha“, sagte er, „bitte vergib mir meine zornigen Worte.“
Seine Entschuldigung tröstete mich sehr, und ich erwiderte: „Rebbe, natürlich vergebe ich Euch.“ Bevor ich am selben Abend zu Bett ging, kam er wieder zu mir und bat erneut um Vergebung. Überrascht erklärte ich, dass ich ihm vollständig vergeben hätte. Dann lag ich eine Weile im Bett und dachte über den Vorfall nach, als mir der Vater meines Rebbe, Reb Jitzhak von Drohowitsch, aus der anderen Welt erschien und sagte: „Ich hatte den Verdienst, in der unteren Welt meinen einzigen Sohn zurückzulassen, und du willst ihn vernichten, weil er dich beleidigt hat?“
„Bitte, Rebbe, sagt das nicht! Ich will ihn nicht betrüben und habe ihm aus ganzem Herzen vergeben. Mehr kann ich doch nicht tun!“
„Was du getan hast, ist keine vollständige Vergebung. Folge mir, und ich werde dir zeigen, was Vergebung wirklich bedeutet.“ Also stand ich auf und folgte ihm in die örtliche Mikwa. Reb Jitzhak wies mich an, dreimal unterzutauchen und jedes Mal zu erklären und zu fühlen, dass ich seinem Sohn vergeben hätte. Ich gehorchte und tauchte dreimal unter – jedes Mal im festen Willen, meinem Rebbe zu verzeihen.
Als ich aus der Mikwa stieg, sah ich, dass Reb Jitzhaks Gesicht so strahlte, dass ich seinen Anblick nicht ertrug. Ich fragte ihn, wo dieses Licht herkomme, und er antwortete: „Mein Leben lang habe drei Regeln befolgt, denen der weise Rabbi Nechunja ben Hakana sein langes Leben weihte: Er strebte nie nach Ehre auf Kosten seines Nächsten; er schlief nie ein, ohne jedem vergeben zu haben, der ihn an diesem Tag beleidigt oder verletzt haben mochte; und er spendete immer reichlich. Aber alles, was wir dadurch erreichen können, lässt sich auch durch Freude erreichen.“
Darum lief ich hinaus, als ich den Hochzeitszug sah, und nahm ein wenig am Fest teil. So vergrößerte ich die Simcha der Braut und des Bräutigams.“
ב"ה
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