Eine Frau namens Rachel hatte keine Kinder. Ihr Mann Nathan hielt sich für modern. Er verachtete Rabbiner und ihre „altmodischen Lehren“.

Rachel war anders. Immer wenn ihr Mann beruflich verreist war, besuchte sie den großen Zadik Rabbi Meir von Premischlan und bat um seinen Segen, damit sie Kinder bekommen möge. Aber es war immer das Gleiche. Sie wartete, bis sie an der Reihe war, und trug dann ihr Anliegen vor. Und jedes Mal antwortete Rabbi Meir: „Ich kann dich erst segnen, wenn du mit deinem Mann zu mir kommst.“

Dann ging Rachel traurig, aber nicht hoffnungslos nach Hause, denn sie glaubte daran, dass ihr Schicksal sich wenden werde. Einmal wurde ihr Glaube belohnt, denn Rabbi Meir sagte zu ihr: „Geh nach Hause. Wenn dein Mann von seiner Geschäftsreise zurückkommt, dann sag ihm: ‚Rabbi Meir von Premischlan will, dass du sofort zu ihm kommst.‛ Natürlich wird er sich weigern; aber dann sagst du zu ihm: ‚Vorgestern, an Lag B’Omer, hast du vor anderen Leuten respektlos über Rabbi Meir gesprochen.‛ Wenn er das hört, wird er bestimmt kommen, und dann werde ich dich segnen.“

Rachel war zu Hause, als Nathan zurückkehrte, und sofort wiederholte sie Rabbi Meirs Worte. Er reagierte wie erwartet; doch als Rachel ihm sein unangebrachtes Verhalten vorhielt, errötete er. Woher wusste der Rabbi das? Sofort fuhr er nach Premischlan, um es herauszufinden. Um sich nicht vor seinen Freunden lächerlich zu machen, reiste er nicht direkt nach Premischlan, sondern machte einen Umweg über Lemberg, um mit einer vorgetäuschten Geschäftsreise seine wahren Absichten zu verbergen.

Als er endlich zu Rabbi Meir geführt wurde, nannte er seinen Namen und seinen Begehr. Rabbi Meir antwortete: „Ich weiß, dass du aus Lemberg gekommen bist. Wenn du meinen Segen willst, musst du wieder nach Hause fahren und direkt zu mir kommen.“

Nathan war verdutzt. Wie konnte der Rabbi das wissen? Offenbar besaß er wundersame Fähigkeiten. Also fuhr Nathan nach Hause und erklärte zur Freude seiner Frau, er wolle den Schabbat in Premischlan verbringen. Als das Paar dort ankam, freute Rabbi Meir sich sehr. Am Schabbat wurde Nathan mit einer Alija zur Tora geehrt, denn es steht geschrieben: „Unter euch soll keiner unfruchtbar sein.“ Er war so gerührt, dass er eine große Spende ankündigen wollte. Doch Rabbi Meir unterbrach ihn mit den Worten: „Weil er versprochen hat, einem Israeliten zu halfen.“ Nathan war verwirrt. Was meinte der Rabbi damit? Als die Gebete beendet waren, erklärte Rabbi Meir seine rätselhaften Worte.

„Eines Tages wirst du Gelegenheit haben, einen heiligen Juden zu retten. Wenn du versprichst, ihm zu helfen, bekommst du einen Sohn.“ Ohne lange nachzudenken, sagte Nathan: „Ich verspreche es.“ Die Ankündigung des Zadiks erfüllte sich, und Nathan und seine Frau wurden Eltern eines Knaben.

Mehr als ein Jahr verging, und Nathan war auf einer Geschäftsreise an der österreichisch-rumänischen Grenze, als er hörte, der berühmte Rabbi Jisrael von Rischin sei ebenfalls anwesend - er sei vor den Russen geflohen und müsse irgendwie die Grenze überqueren. Das hatte Rabbi Meir offenbar gemeint, als er Nathan das Versprechen abgenommen hatte.

Also ging Nathan zu Rabbi Jisrael und bot ihm an, ihn über einen kleinen, zugefrorenen Fluss zu tragen. Rabbi Jisrael war einverstanden, und sie brachen um Mitternacht auf. Nathan kannte die Gegend gut, aber er war die schwere körperliche Anstrengung nicht gewöhnt. Trotz der bitteren Kälte lief ihm der Schweiß über die Stirn. Einen erwachsenen Mann zu tragen war schwerer, als er gedacht hatte. Bei jedem Schritt betete er darum, dass das dünne Eis das Gewicht der zwei Männer aushalten möge, damit sie nicht einen eisigen Tod sterben mussten.

Plötzlich blieb Nathan stehen. „Stimmt etwas nicht?“, fragte Rabbi Jisrael.

„Es ist alles in Ordnung. Ich habe nur bemerkt, dass wir die Flussmitte erreicht haben. Wenn ich eine Bitte äußern darf, dann jetzt. Rebbe, ich habe viele Sünden begangen. Ich habe die Lehre und die Gebote der Tora verächtlich ignoriert. Doch bevor ich weitergehe, will ich Euer Versprechen haben, dass ich einen Platz in der künftigen Welt haben werde. Wenn Ihr mir das versprecht, gehe ich weiter; wenn nicht, kehre ich um.“

Sofort antwortete Rabbi Jisrael: „Selbstverständlich, ich gebe dir mein Wort. Ich bin froh, dass du in einem solchen Augenblick solche Gedanken hast!“

Nach dieser Zusicherung setzte Nathan seinen gefährlichen Gang durch die eisige Finsternis fort. Erst viele Stunden später erreichten sie unversehrt eine kleine österreichische Grenzstadt. Es sprach sich bald herum, dass der heilige Rischiner dank Nathans Bemühungen endlich in Sicherheit war, und das kam Nathans Geschäften sehr zugute.