Einmal hatten sich Chassidim versammelt und tranken Met (süßen Honigwein, der früher sehr beliebt war). Dabei erzählte ein Chassid namens Reb Mosche diese Geschichte:
Vor vielen Jahren besuchte ich Wien. Ich schickte meinen Diener in eine jüdische Schenke in der Nähe, um eine Flasche Met zu kaufen. Als er zurückkam, stellte ich fest, dass es der köstlichste Met war, den ich je getrunken hatte. Er war so gut, dass ich dem Diener sofort befahl, mehr zu kaufen. Ich gab ihm genug Geld für zehn Flaschen. Daran wollte ich mich mit meiner Familie lange laben.
Doch mein Diener kam mit leeren Händen zurück. Ich holte noch ein paar Münzen aus der Tasche, aber er schüttelte den Kopf. „Es liegt nicht am Geld“, sagte er. „Es gibt keinen Met mehr.“
Also ging ich selbst hin. Als ich eintrat, sah ich eine Menge Menschen, die offenbar eben ein Festmahl beendet hatten. Ich ging zum Wirt und bat ihn, mir etwas von seinem herrlichen Honigwein zu verkaufen.
„Tut mir leid, aber es ist kein Tropfen mehr übrig“, sagte er. „Wann bekommst du Nachschub?“ fragte ich. „Offen gesagt, nie mehr!“ Dann erzählte er mir den Grund.
Vor vielen Jahren war er ein Mohel gewesen. Schon am Anfang seiner heiligen Arbeit hatte er einen Vorsatz gefasst: Er wollte nie eine Bitte um die Brit Mila abschlagen, einerlei, wie schwierig die Umstände waren. Eines Jahres am Tag vor Jom Kippur klopfte ein jüdischer Bauer an seine Tür und bat ihn, seinen acht Tage alten Sohn zu beschneiden. Der Bauer lebte ziemlich weit entfernt , und es war der Tag vor Jom Kippur. Trotzdem willigte der Mohel ein.
Als sie hinausgingen, sah der Mohel, dass der Bauer zu arm war, um einen Wagen zu mieten. Der Mohel war ebenfalls nicht reich. Also musste er die ganze Strecke zu Fuß gehen. Der Bauer ging voraus, aber so schnell, dass der Mohel bald weit zurückblieb. Schließlich verschwand der Bauer hinter einer Biegung des Weges.
Stunden später erreichte der Mohel die Stadt und fragte einige Leute, wo die Familie mit dem Neugeborenen lebe. Als er dort hinging, lag die Mutter mit dem Kind im Bett. Sie war so schwach, dass sie kaum reden konnte. Der Vater war nirgendwo zu sehen. War die Brit Mila seines Sohnes ihm nicht wichtig?
Der Mohel stand vor einem ernsten Problem: Wer sollte der Sandek sein und das Kind beim Ritual halten? Die Zeit drängte, denn das Baby war acht Tage alt und musste sofort in den Bund Awrahams aufgenommen werden. Doch ohne Sandek war das sehr gefährlich. Das hatte der Mohel nie zuvor versucht.
Er ging hinaus und hoffte, jemanden auf der Straße zu finden. Er wartete lange, aber die Straße war verlassen. Plötzlich sah er einen alten Bettler, der um die Ecke kam. „Ich habe es sehr eilig“, sagte der Mann ungeduldig, als der Mohel ihn um Hilfe bat. „Heute ist der Vorabend von Jom Kippur, und ich kann viel mehr Rubel verdienen, wenn ich rechtzeitig in der großen Stadt von Tür zu Tür gehe.“ Der verzweifelte Mohel versprach ihm einen Rubel, wenn er als Sandek einspringe. Der Bettler war einverstanden, und die Brit Mila verlief ohne Zwischenfall. Danach ging der Mohel den langen Weg zur Stadt zurück.
Nach dem Nachmittagsgebet ging er nach Hause zum letzten Mahl vor dem Fasten. Zu seinem Erstaunen fand er den Bettler vor seiner Tür. Rasch gab er ihm den versprochenen Rubel, aber der Bettler wollte auch ein Glas Met haben. Der Mohel war schon sehr müde und nicht in der Stimmung zum Trinken. Dennoch ließ er den Bettler eintreten und schenkte den Met ein. Doch das war für den seltsamen Mann nicht genug. Er bestand darauf, dass der Mohel mit ihm trank und dass sie einander ein gutes und süßes neues Jahr wünschten. Der Mohel tat es.
„Sag mal, ist noch Wein im Fass?“ fragte der aufdringliche Fremde. „Nur noch ein paar Tropfen“, meinte der Mohel. „Es wird immer Wein in diesem Fass sein“, erklärte der rätselhafte Bettler, „bis der letzte Segen auf der Hochzeit deines jüngsten Sohnes gesprochen ist.“ Dann zeigte der Mann auf die Wiege, in dem der Sohn des Mohels schlief.
„Die Voraussage erfüllte sich“, erzählte der Wirt. „Der Alte muss Elijahu, der Prophet, gewesen sein. Eine andere Erklärung gibt es nicht. Dank des endlosen Vorrates an Wein konnte ich diese Schenke eröffnen, aber ich vergaß den Rest der Voraussage – bis heute, als das Fass plötzlich fiel und zerbrach, während wir bei der Hochzeit meines Jüngsten das Dankgebet sprachen. Darum wird es diesen speziellen Met nie wieder geben.“
ב"ה
Diskutieren Sie mit