Für Pessach des Jahres 5650 (1890) – einige Monate vor meinem zehnten Geburtstag – wurde für mich ein neuer Anzug geschneidert, und ein Paar neue Schuhe kamen dazu.

In meiner Heimatstadt Lubawitsch bereitete man sich gründlich auf das Fest vor. Am Tag vor Pessach war alles genau vorgeschrieben: Zuerst suchte man Chamez (gesäuertes Brot) und entfernte es aus dem Haus, dem Hof, dem Hühnerstall und dem Stall. Reb Mendel war damit fast die ganze Nacht beschäftigt und überprüfte am Morgen noch einmal alles. Dann wurde das Chamez verbrannt, und anschließend gingen wir in die Mikwe, zogen uns um und buken die Mazzot Mizwa für den Seder.

Zum Schluss blieb immer noch etwas für die letzten Minuten übrig. Auch ich hatte eine Aufgabe: Ich musste die Siegel der Weinflaschen entfernen und die Korken teilweise herausziehen. Letzteres war am schwierigsten, denn das Metall des Korkenziehers durfte den Wein nicht berühren.

In jenem Jahr war ich damit im Zimmer meines Vaters beschäftigt. Ich arbeitete sehr umsichtig und achtete darauf, meinen neuen Anzug nicht schmutzig zu machen und vor allem den Glanz meiner neuen Schuhe nicht zu trüben.

Mein Vater merkte, was mir hauptsächlich durch den Kopf ging, und er sagte:

„Der Alter Rebbe (Rabbi Schneur Salman von Ladi) erzählte einmal diese Geschichte: Ein hoher Adeliger saß an einem Tisch, der mit allerlei köstlichen Gerichten beladen war. Unter dem Tisch lag ein Hund und nagte an einem Knochen.

Kannst du dir vorstellen, dass der Edelmann unter den Tisch zu dem Hund kriecht und mit ihm am Knochen nagt?“

Die Worte meines Vaters machten einen so großen Eindruck auf mich, dass ich mich von nun an schämte, meine neuen Kleider auch nur anzuschauen.

Das ist Erziehung.