Sein Leben lang wollte Rabbi Israel Baal Schem Tow ins Heilige Land reisen. Oft pflegte er zu sagen, wenn er und Rabbi Chaim Ibn Attar, der in Jerusalem lebte, ihre Kräfte vereinigen würden, werde der Moschiach kommen. Aber es sollte nicht sein. Mehrere Male wollte der Baal Schem Tow aufbrechen, doch jedes Mal ereigneten sich alle möglichen Missgeschicke oder Katastrophen, so dass er mit leeren Händen umkehren musste.

Während einer dieser vergeblichen Reisen strandeten Rabbi Israel und seine Tochter Adel ohne Geld in Istanbul. Es war der Vorabend von Pessach, und sie hatten weder Mazza noch Wein und auch sonst keine Vorkehrungen getroffen. Rätselhafterweise hatten den Baal Schem Tow auch seine spirituellen Kräfte verlassen, und sein großer Geist war leer – er erinnerte sich kaum ans Alef-Bet. Er war bereits in die Synagoge gegangen, und seine Tochter dachte an ihren leeren Seder-Tisch, als ein Mann an die Tür klopfte. „Ich komme aus Polen“, sagte er, „und bin geschäftlich hier. Man sagte mir, zwei Juden aus meiner Heimat seien hier abgestiegen. Ich würde das Fest sehr gerne mit euch verbringen.“

„Du bist willkommen“, antwortete Adel. „Doch leider können wir dir kaum einen Seder bieten. Wir haben nichts – keine Mazza, keinen Wein, keine bitteren Kräuter, nicht einmal eine Kerze, um das Fest einzuleiten.“

„Macht nichts“, sagte der Gast. „Ich habe alles dabei. Ich wusste ja, dass ich an Pessach unterwegs sein würde; darum habe ich mitgebracht, was ich brauche. Es reicht für uns alle.“

Als Rabbi Israel aus der Synagoge zurückkehrte, fand er einen perfekten Seder vor: angezündete Kerzen, Mazza, Wein und alles andere, was man brauchte, um die Mizwot des Tages zu erfüllen. Seine Freude war gewaltig, denn im selben Augenblick war auch der g-ttliche Geist in seine Seele zurückgekehrt.

Nachdem sie die Haggada gesprochen, die Mazza und den Maror gegessen und das Festmahl genossen hatten, sagte der Baal Schem Tow zu seinem Gast: „Du hast mir das Leben zurückgegeben. Wie kann ich dir danken? Verlange, was du willst; ich verspreche dir, dass dein Wunsch erfüllt wird.“

„G-tt hat mich mit Reichtum gesegnet“, erwiderte der Mann, „und ich will nichts Materielles haben. Aber meine Frau und ich sind seit vielen Jahren verheiratet und haben noch kein Kind. Rabbi, ich weiß, Ihr seid ein frommer und heiliger Mann. Eure Gebete können gewiss die Tore des Himmels öffnen. Bitte segnet uns mit einem Kind.“

„Ich schwöre“, sagte Rabbi Israel, „dass du ein Kind in den Armen hältst, ehe das Jahr vorbei ist.“ Kaum hatte er das gesagt, wurde es im Himmel unruhig, denn dieser Mann und seine Frau konnten gar keine Kinder zeugen!

Dennoch musste sich auch der Himmel an das Gesetz halten, wonach „G–tt den Willen jener tut, die ihn fürchten“1. Der Eid des Baal Schem Tow musste also erfüllt werden. Darum wurde eine Proklamation erlassen, die in allen übernatürlichen Welten widerhallte: „Dieser Mann und seine Frau werden ein Kind haben. Doch weil Rabbi Israel Baal Schem Tow den Himmel gezwungen hat, die Gesetze der Natur zu brechen, hat er seinen Anteil an der künftigen Welt verwirkt.“

Als der Baal Schem Tow davon erfuhr, strahlte er vor Freude. „Was für ein Glück!“, rief er. „Soeben habe ich gehört, dass alle meine guten Taten keinen himmlischen Lohn finden werden. Mein Leben lang hat mich der Gedanke betrübt, mein Dienst für G–tt könne von der Hoffnung auf Lohn befleckt werden. Jetzt ist mein Dienst rein und frei von egoistischen Hintergedanken!“