Vor vielen Jahren, als das römische Reich Israel erreichte, gab es viele Dekrete gegen die Juden. Eines verbot die Beschneidung jüdischer Knaben. Die Strafe für Ungehorsam war hart. Rabbi Schimon ben Gamliel war damals der Nasi, der „Fürst“. Juden und Nichtjuden respektierten ihn, auch der Kaiser. Als seine Frau einen Knaben gebar, beschnitten sie ihn. Bald hörte die Regierung davon, und Rabbi Schimon musste vor dem Gouverneur seiner Stadt erscheinen. „Was hast du zu deiner Verteidigung vorzubringen?“, fragte der Gouverneur zornig.

„Ich habe dem König der Könige gehorcht, der uns befohlen hat, unsere Söhne am achten Tag nach der Geburt zu beschneiden“, sagte Rabbi Schimon ruhig.

„Ich schicke dich, deine Frau und dein Kind vor den kaiserlichen Gerichtshof. Denn wenn andere Juden erfahren, dass du deinen Sohn beschnitten hast, ohne streng bestraft zu werden, folgen sie deinem Beispiel.“

Rabbi Schimon und seine Frau wurden auf die lange Reise zum kaiserlichen Gericht geschickt. Unterwegs legten sie oft eine Rast ein und wurden von Juden und Nichtjuden herzlich empfangen, denn alle respektierten ihn. Einmal merkten seine Frau und die nichtjüdische Gastgeberin, dass sie beide am selben Tag einen Knaben geboren hatten. Sofort erbot sich die Frau, ihren Sohn Antonius mit dem Sohn Rabbi Schimons, Jehuda, auszutauschen. Der Rabbiner und seine Frau willigten dankbar ein.

Mit neuer Hoffnung reisten sie weiter. Als sie zum Palast kamen, wurden sie zum Kaiser geführt, der befahl, das Kind zu untersuchen. Zur Überraschung aller gab es kein Anzeichen für eine Beschneidung. „Das ist ein Wunder“, flüsterten die Leute am Hof. So bald wie möglich wurden die Kinder erneut vertauscht, ohne dass jemand es merkte.

Es gibt viele Geschichten über die enge Freundschaft zwischen dem römischen Prinzen und dem kleinen jüdischen Kind, dessen Leben er rettete. Diese Freundschaft endete nie, obwohl Antonius römischer Kaiser und Jehuda jüdischer Patriarch wurde. Bei einer ihrer vielen Gespräche fragte Antonius Rabbi Jehuda: Wie kann eine Seele in der „Welt der Wahrheit“ bestraft werden? Sie wird doch ausrufen: „Warum bin ich schuldig? Ich bin ein Teil G-ttes! Der Körper hat gesündigt, ohne ihn könnte ich gar keine Sünde begehen.“ Dann wird der Körper klagen: „Ohne die Seele könnte ich nicht existieren. Ich bin nur Staub und Asche. Ich kann ohne sie nicht sündigen!“

Rabbi Jehuda antwortete mit einem Gleichnis: Ein Mann hatte einen schönen Garten. Er stellte zwei Männer als Wachen ein. Der eine war ein Krüppel, der andere blind. Als der Krüppel die köstlichen Früchte im Garten sah, rief er dem Blinden zu: „Nimm mich auf deine Schultern. Ich führe dich zu den Früchten, und dann essen wir uns daran satt.“ Das taten sie.

Als der Eigentümer sah, dass jemand sein Obst gestohlen hatte, rief er sofort die Wachen zu sich. Der Krüppel sagte: „Ich bin unschuldig. Ohne den anderen hätte ich die Früchte gar nicht erreicht.“ Der Blinde entgegnete: „Ich kann die Früchte nicht einmal sehen. Ohne den Krüppel wäre ich nicht an sie herangekommen.“ Der Eigentümer setzte den Krüppel auf die Schultern des Blinden und bestrafte die beiden als Einheit.