Der Talmud erzählt1, dass, als Mose in die „Himmel“ (spirituelle Welten) aufstieg um die Thora zu erhalten, die Engel vor G-tt klagten: „Was macht ein Sterblicher unter uns?“ G-tt antwortete: „Er ist hier, um die Thora zu bekommen“. Die Engel erwiderten empört: „Dein Name ist ruhmvoll auf der ganzen Erde, doch Deinen Glanz (Thora) verkündest Du über die Himmel!“ G-tt wandte sich zu Mose: „Antworte ihnen!“ Dieser sprach voller Furcht: „Ich fürchte, dass sie mich mit ihrem Atem niederbrennen!“ „Sei unbesorgt“, beruhigte ihn G-tt. „Berühre Meinen Thron und gib ihnen die Antwort, die sie verstummen lässt!“ Und so antwortete Mose: „Ich bin G-tt, dein G-tt, Der dich aus Ägypten geführt hat – nach Ägypten seid ihr Engel gewandert?“ Er zitierte weitere Verse aus der Thora und fragte: „Gibt es denn Handel zwischen euch ... ist unter euch der „Böse Trieb“?“ Und so gelang es ihm die Engel verstummen zu lassen.

Nachbarn

Die Klage der Engel vor G-tt aber hatte seine Begründung, denn sie basierte auf dem Gesetz der Thora. Es handelt sich hierbei um das Recht auf בר מצרא – „Der Angrenzende“, also der Nachbar. Und so lautet das Gesetz:2 Jemand, der sein Feld verkaufen will, hat es nur seinem angrenzenden Nachbarn zu verkaufen. Und sogar wenn das Feld schon von einem anderen erworben wurde – so ist der angrenzende Nachbar berechtigt dieses Feld von jenem erstattet zu bekommen. Und auf diesem Grundsatz basierte die Klage der Engel, denn sie waren ja angrenzende „Nachbarn“ der Thora, welche sich im Himmel befand. Deshalb sollte die Thora ihnen gegeben werden und nicht den Menschen.

Aber auch die Antwort Moses stützte sich auf Gesetzesregeln von בר מצרא. Denn die Bevorzugung des angrenzenden Nachbars in Bezug auf das Feld besteht nur, wenn er im Sinn hat auf diesem Feld ein Haus zu bauen. Falls er das Feld aber nur landwirtschaftlich betreiben will, besteht das Recht von בר מצרא nicht, und der Anspruch des Nachbarn auf das Feld gilt nicht mehr als der jedes anderen Käufers.

G-ttes Zuhause ...

Das war das alles entscheidende Argument Moses: Die Thora dient nicht nur als Gebrauchsanweisung für das Leben. Der wahre Sinn der Thora liegt darin „G-tt einen Wohnsitz in unserer Welt zu bauen“3, in dem Er sich vollkommen offenbaren kann ohne Sein wahres Wesen zu verhüllen, so wie der Mensch sich in seiner Wohnung frei und unangetastet fühlt und so sein kann, wie er wirklich ist.

Weshalb kann man G-tt nicht im Himmel einen Wohnsitz gründen? – Weil die unendliche Kraft G-ttes (die Enthüllung Seines wahren Wesens) dann zum Ausdruck kommt, wenn sie auch in den tiefsten Untergrund eindringt, d.h. unsere materielle Welt, in der Böses existiert. Nur hier gibt es den Konflikt zwischen Gut und Böse. Nur auf dieser Welt haben wir die Fähigkeit uns für das Gute zu entscheiden! Im Kampf gegen das Böse wird die wahre Größe des Guten offenbart! Mit jeder Mitzwa, welche Träger eines g-ttlichen Funkens ist, wird das Böse verdrängt, bis es schließlich völlig beseitigt ist. Dann wird unsere Welt zum Wohnsitz G-ttes!

... in unserer Welt

Unter den Engeln gibt es nichts Böses. Dort findet die vollkommene Herrlichkeit G-ttes keinen Ausdruck. Deshalb können die spirituellen Welten nicht der Hauptwohnsitz G-ttes sein! In diesem Sinn ist uns die Thora zum Schawuot-Fest gegeben worden, um aus unserer Welt einen heiligen Ort zu schaffen, im Einklang mit ihrem Schöpfer, eine Wohnstätte für G-tt. Zur endgültigen Erlösung wird dieses Ziel erreicht werden. G-tt wird auf unsere Welt herabsinken, sodass Seine Herrlichkeit über die ganze Welt strahlen wird!

(Likutej Sichot, Band 18, Seite 28)