Den ganzen Winter über beten Juden täglich um Regen. Wenn G-tt gnädig ist und seinem Land reichlich Regen schenkt, ist alles gut; aber wenn nicht, müssen Israel und seine Bewohner leiden. In einem bestimmten Jahr regnete es sehr wenig. Der trockene Boden trug kaum Früchte, und die Preise waren hoch. Selbst die Reichen hatten Mühe, alles zu bezahlen, was sie brauchten, und die Armen mussten hungern.
Am schlechtesten ging es den Tora-Gelehrten, die von den Jeschiwot abhingen. Diese wiederum wurden von großzügigen reichen Leuten unterstützt, die aber jetzt nicht mehr viel geben konnten. Die Rabbiner Jerusalems trafen sich und beschlossen, jemanden ins Ausland zu schicken, um dort Geld zu sammeln. Aber wen? Niemand traute sich diese schwere Aufgabe zu. Also warfen sie Lose, und die Wahl fiel auf Rabbi Awraham Galanti. Er war bekannt für seine Frömmigkeit und sein großes Wissen, aber er war nie im Ausland gewesen.
Dennoch nahm er den Auftrag an und reiste in die Hafenstadt Jaffa, wo er ein Schiff nach Konstantinopel bestieg. Die anstrengende Reise dauerte viele Wochen, und als die Seefahrer endlich Land sahen, bot sich ihnen ein seltsamer Anblick. Anstelle eines geschäftigen Hafens sahen sie verwirrte Menschen, die hin und her liefen. Andere standen auf Dächern, während Soldaten durch die Straßen patrouillierten.
Der Kapitän und die Besatzung fürchteten sich und wollten nicht an Land gehen. Aber Rabbi Galanti bestand darauf, weil Konstantinopel mit seiner wohlhabenden und großzügigen jüdischen Gemeinde sein Hauptziel war. Vor allem in diese Stadt hatte man ihn geschickt, und er war entschlossen, seinen Auftrag zu erfüllen. Er bat den Kapitän um ein Ruderboot, und bald brachte ihn ein Matrose in einem Boot ans Ufer. Kaum hatte er es betreten, kamen zwei Soldaten auf ihn zu und riefen:
„Du musst zurück aufs Schiff! Zwei riesige Löwen sind aus dem Zoo des Sultans ausgebrochen und laufen durch die Stadt. Der Sultan will sie lebend zurückhaben, aber wir trauen uns nicht, sie zu fangen.“
Plötzlich hörten sie ein schreckliches Brüllen, und die Soldaten flohen in Panik und ließen den Rabbi allein. Der Löwe sprang auf ihn zu und wollte endlich seinen Hunger stillen. Aber dann blieb er abrupt stehen und kauerte sich vor die Füße des Rabbis. Die Leute auf den Dächern wandten den Blick ab, um sich den entsetzlichen Anblick zu ersparen; doch als sie sahen, dass ein Wunder geschehen war, reckten sie die Hälse, um nichts zu verpassen. Sie sahen, wie Rabbi Galanti den Löwen an der Mähne packte und ihn ruhig zum Palast führte. Unterwegs traf er den zweiten Löwen, der ihm gehorsam folgte.
Als sie den Garten des Sultans erreichten, sperrte Rabbi Galanti die Tiere in ihre Käfige. Bevor er gehen konnte, kam der Sultan und fragte: „Wer bist du, und wieso hast du die Macht, Löwen zu bändigen?“
Rabbi Galanti erklärte, er komme aus Jerusalem, wo Hungersnot herrsche, und wolle Geld sammeln, um seinen Brüdern zu helfen. Der Sultan war erstaunt. „Ich hielt dich für einen Dompteur oder Zauberer. Aber wenn du ein Tora-Gelehrter bist, will ich wissen, wie du diese Heldentat vollbracht hast.“
„Majestät“, antwortete Rabbi Galanti, „Unsere Weisen lehren, dass der Mensch tapfer ist, wenn er seine bösen Neigungen besiegt. Ich habe mein Leben lang gegen meine bösen Neigungen gekämpft, und es gelang mir, mein Herz so zu läutern, dass ich nichts mehr fürchte außer G-tt. Er hat den Tieren eine natürliche Furcht eingepflanzt, die zum Ausdruck kommt, wenn Menschen so handeln, wie sie müssen. Aber wenn ein Mensch G-ttes Ebenbild beschmutzt, sind die Rollen umgekehrt, und der Mensch fürchtet das Tier.“
Der Sultan war beeindruckt. Er wies seine Diener an, einen großen Geldbetrag zu bringen, und gab ihn Rabbi Galanti zum Zeichen seiner Dankbarkeit und Wertschätzung. Der Rabbi kehrte nach Jerusalem zurück. Er hatte seinen Auftrag erfüllt und G-ttes Namen vor dem Sultan und allen seinen Leuten geheiligt.
ב"ה
Diskutieren Sie mit