Sie treffen auf der Straße einen alten Freund mit hängendem Kopf und gerunzelter Stirn. Instinktiv sagen Sie „Kopf hoch!“, um ihn aufzumuntern.
Aber das hilft nicht. Er wird eher wütend und noch verzagter. Sie sind gefühllos und wissen es nicht einmal. Wenn Sie sonst nichts zu sagen haben, halten Sie besser den Mund und lächeln, anstatt etwas so Belangloses zu äußern. Wenn es mir schlecht geht, will ich nicht, dass jemand „Kopf hoch!“ zu mir sagt. Ich will, dass man versteht, warum es mir schlecht geht.
„Kopf hoch!“ bedeutet, dass ich keinen Grund habe, niedergeschlagen zu sein. Aber ich bin nicht grundlos betrübt. Irgendetwas macht mir zu schaffen. Wer „Kopf hoch!“ zu mir sagt, spricht mir das Recht ab, bekümmert zu sein. Dann habe ich nicht nur ein Problem, sondern ich darf nicht einmal traurig darüber sein!
Zudem ist es eine Beleidigung zu behaupten, ich könne mühelos Mut fassen. Es ist, als sage man zu mir: „Was ist denn los? Reiß dich zusammen!“ Wer deprimiert ist – wegen finanzieller Probleme, eines Ehestreits und so weiter –, will bestimmt nicht hören, dass er ein Versager ist. Wenn es so leicht wäre, sich zusammenzureißen, wären kluge Ratschläge unnötig.
Denken Sie an den biblischen Josef. Er schmachtete mit zwei Beamten des Pharaos in einem ägyptischen Gefängnis. Eines Morgens merkte er, dass sie in schlechter Stimmung waren. Sagte er „Kopf hoch!“ zu ihnen? Nein, er stellte ihnen eine Frage: „Warum seid ihr heute so traurig?“ Jetzt konnten sie ihm ihr Herz ausschütten.
Josef war sehr einfühlsam. Er sagte ihnen nicht, wie sie sich fühlen sollten, sondern gab ihnen die Gelegenheit, über ihre Probleme zu reden. Er wusste, dass die meisten Menschen einen Grund haben, wenn sie betrübt sind, und dass man ihnen nur helfen kann, wenn man sie ermuntert, über das Problem zu sprechen. Dann kann man ihnen eine Lösung aufzeigen.
Wenn Sie wieder einmal versucht sind, „Kopf hoch!“ zu jemandem zu sagen, dann denken Sie daran, dass Sie ihn damit noch depressiver machen. Die einfache Regel lautet: Es ist fast immer besser, wenn der andere redet. Alles, was Ihnen einfällt, ist wahrscheinlich unwichtig oder gar beleidigend.
Wenn Sie fragen: „Wie geht es dir?“, sind Sie dann wirklich bereit, auf die Antwort zu warten? Warum sagen wir „Kopf hoch!“? Weil es am einfachsten ist. Wir reden uns ein, dass wir unser Bestes getan haben, obwohl der Betroffene innerlich stöhnt: „Das hat mir gerade noch gefehlt!“
Denken Sie daran: Gesprochene Worte kann man nicht zurücknehmen. Maimonides rät uns, nichts zu sagen, ohne im Geist drei- oder viermal darüber nachzudenken. Fünf- oder sechsmal wäre in solche Fällen eher angebracht. Die wichtigste Regel ist: Sagen Sie im Zweifel gar nichts.
Wenn Sie sich über jemanden Sorgen machen, dann hören Sie ihm zu. Und wenn Sie darin nicht gut sind, dann umarmen Sie ihn oder bieten Sie ihm (sehr jüdisch) einen Kuchen an.
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