Einleitend ist es angebracht, hier zwei häufig vorkommende hebräische Ausdrücke kurz zu definieren, und zwar diese: Rosch Chodesch – das ist der erste Tag eines Monats, also der Neumondstag. Schabbat Meworchim – das ist der Schabbat vor dem jeweiligen Neumondstag, also der letzte Schabbat des zu Ende gehenden Monats.

Aus der Liturgie ist uns bekannt, dass am Schabbat Meworchim der kommende Monat des jüdischen Kalenders gesegnet wird. Vor dem Beginn des Mussaf-Gebetes in der Synagoge werden von der Gemeinde bestimmte Bitten zur "Erneuerung des Monats" ausgesprochen und dann vom Vorbeter wiederholt. Danach ruft der Vorbeter aus: "Rosch Chodesch (des jeweils bevorstehenden Monats) wird auf den kommenden (Tag der Woche) fallen, möge er zu uns zum Guten einkehren." Daraufhin wird noch folgendes Gebet gesprochen: "Möge der Heilige, Gesegnet sei Er, ihn (den Monat) für uns und für ganz Israel erneuern, zum Leben und zum Frieden ..." usw.

Allerdings gibt es zu diesem anderweitig regelmäßigen Schema eine bedeutsame Ausnahme. An einem Schabbat im Jahre, der einen Neumond vorangeht, wird der genannte Brauch nicht eingehalten, und zwar jedes Mal an dem Schabbat, an dem die (heutige) Sidra Nizawim vorgelesen wird. Dies ist immer der letzte Schabbat des Monats Elul; er ist der letzte Schabbat des zu Ende gehenden Jahres, der Schabbat vor dem Monat Tischrei (in den unsere wichtigen Feste Rosch Haschana, Jom Kippur, Sukkot, Schmini Azeret und Simchat Tora fallen). Es ist gerade an diesem Schabbat, dass wir den kommenden Monat nicht segnen!

Welcher Grund liegt vor für diese sehr bemerkenswerte Ausnahme? Rabbi Israel Baal Schem Tov, der Begründer des Chassidismus, gibt darauf diese Antwort: "Tischrei, als erster Monat des neuen Jahres, wird von G-tt selbst am vorherigen Schabbat Meworchim gesegnet; und durch diesen Segen G-ttes ist Israel ermächtigt und in die Lage versetzt, die anderen elf Monate des Jahres selbst zu segnen."

Worin nun besteht jener Segen, den G-tt selbst am letzten Schabbat Meworchim des alten Jahres gibt? Er ist, so erklärt der Baal Schem Tov, aus der Tora-Vorlesung für diesen besonderen Schabbat zu entnehmen; mit dem darin enthaltenen G-ttlichen Versprechen ist G-ttes eigener Segen gegeben. Die Sidra Nizawim, die wir an diesem Tage lesen, beginnt mit den Worten (Deut 29, 9): "Ihr steht alle standhaft an diesem Tage …" Der Ausdruck "an diesem Tage" hat Bezug auf Rosch Haschana, den Tag des Richterspruches. Die Tora verspricht hier, dass an dem unmittelbar bevorstehenden Tag des Richterspruches "ihr standhaft dasteht" – das heißt: Ihr werdet weiterhin aufrecht stehen (s. Midrasch Tanchuma, Anfang von Nizawim), denn ihr werdet das Gericht überstehen und freigesprochen werden.

Dies denn ist die Art und Weise, in welcher G-tt Seine eigene Segnung an diesem letzen Schabbat Meworchim des Jahres ausspricht, womit dann der trächtige Monat Tischrei und das neue Jahr selber eingeleitet werden.

Und dies gehört zum Wesen eben jener Trächtigkeit: Durch ehrliche Reue für das, was gewesen ist, und durch gute Vorsätze und Taten für Gegenwart und Zukunft hat jeder einzelne die Möglichkeit und die Fähigkeit, das kommende Jahr zu einem Jahr von wahrhaft großen Leistungen zu machen; dann auch leistet G-tt, "der an reuiger Umkehr Gefallen hat", Seine Beihilfe, damit diese Entschlüsse richtig in die Praxis umgesetzt werden.