Rosch Haschana, der ernste Festtag steht bevor. G-tt hat diesen Tag so angesetzt, dass Rosch Haschana nicht auf das Datum des Anfangs der Schöpfung fällt, sondern spezifisch auf den Jahrestag der Erschaffung des Menschen (also den sechsten Schöpfungstag). Darin liegt eine sehr tiefe Bedeutung: Die Erschaffung des Menschen brachte nicht nur den Schöpfungsvorgang zum Abschluss, sondern mit ihm erreichte die gesamte Schöpfung erst ihre Vollendung und Erfüllung. Die Erschaffung des Menschen gab der Welt ihre Vollständigkeit – nicht allein deshalb, weil nun das letzte und höchstgestellte Lebewesen verwirklicht war, sondern auch deshalb, weil der Mensch dasjenige Geschöpf ist, welches alle anderen Geschöpfe zu ihrer endgültigen Erfüllung heranleiten kann, muss und schließlich auch wird.

Eins der vornehmlichsten Charaktermerkmale der Erschaffung des Menschen ist, dass dieser als Einzelwesen gebildet wurde, ungleich den anderen Gattungen von Lebewesen, die jeweils in großer Anzahl geschaffen wurden. Diese Tatsache zeigt mit Nachdruck an, dass ein einziges Individuum in sich die Fähigkeit besitzt, die ganze Welt zu ihrer Erfüllung zu bringen, wie es ja bei Adam, dem ersten Menschen, der Fall war. Kaum war Adam an jenem ersten Rosch Haschana erschaffen, da rief er alle Geschöpfe der Welt auf, und es gelang ihm, sie dazu zu bringen, die Souveränität es Schöpfers anzuerkennen.

Unsere Weisen s. A. lehren uns, dass Adam, der erste Mensch, Urbild und Vorbild jedes auf ihn folgenden Einzelmenschen war: "Der Mensch ist deswegen einzeln geschaffen worden, um dir damit darzutun: Eine Person ist so viel wert wie die ganze Welt", stellen unsere Weisen in der Mischna fest. Das besagt, dass jeder Jude, unbeschadet von Zeit, Ort oder persönlicher Stellung, absolut befähigt (und daher auch verpflichtet) ist, sich emporzuarbeiten, den höchsten Grad der Vollkommenheit zu erlangen und dasselbe ebenfalls für die gesamte Schöpfung zu erzielen.

So erinnert Rosch Haschana – Geburtstag des ersten, einzelnen, Menschenwesens – jeden Juden an diese Aufgabe. Rosch Haschana widerlegt die Behauptungen derer, die ihren Pflichten nicht nachkommen, die da Entschuldigungen vorbringen wie diese: es sei doch unmöglich, die Welt zu ändern; oder ihre Eltern hätten es verabsäumt, ihnen die notwendigen Anleitungen und Belehrungen mit auf den Weg zu geben; oder die Welt sei so groß und der Einzelmensch so winzig – sie sagen leicht: "Wie kann man überhaupt etwas zu erreichen hoffen?"

Es hat Zeiten gegeben, in denen diese Idee – nämlich das eine einzelne Person in der Lage sei, die Welt "umzuformen" – allgemein sehr skeptisch betrachtet wurde und man "Beweise" dafür verlangte oder Gegenargumente zu Felde führte. Jedoch brauchen wir gerade in unserem Zeitalter leider nicht sehr lange zu forschen und zu suchen, um von der Wahrheit unserer Feststellung überzeugt zu sein. Wir haben mit eigenen Augen gesehen, wie ein einzelner Mensch die Welt bis an den Rand der Zerstörung bringen konnte, wenn nicht die Gnade des Herrn der Welt gewesen wäre, Der da bestimmt: "Die Erde soll fest bestehen, sie soll nicht untergehen." Wenn es auf dem Gebiet des Bösen so weit kommen kann, wie viel größer ist dann erst unser Potential im Bereiche des Guten? Ist doch die Welt in ihrem inneren Wesen gut; hat doch das Gute stets mehr Aussicht auf Erfolg als das Gegenteil.