In unserem Wochenabschnitt warnt G-tt das jüdische Volk, nicht von dem Weg der Thora abzuweichen. Die Thora zählt daraufhin 49 schreckliche Flüche auf, die das Volk heimsuchen würde, wenn es nicht in den Wegen G-ttes ginge.1
Wenn wir diese Flüche lesen, sträuben sich unsere Haare vor Schreck, doch die Lehre der Chassidut erklärt, dass diese Flüche in Wahrheit Segen sind und sogar sehr große Segen!2 Und eben weil sie so große Segen sind, kann sie die Welt nicht ertragen und sieht in ihnen nichts Weiteres als einen großen Fluch. Das ähnelt sehr grellem Licht, das die Empfänger blendet.
Die Gelehrten fluchen?!
Ein Beispiel dafür finden wir im Talmud: Rabbi Schimon bar Jochai schickte einmal seinen Sohn Rabbi Jonatan zu den Gelehrten Jonatan ben Amsej und Jehuda ben Gerim, damit sie ihn segnen. Als er zu seinem Vater zurückkehrte, sagte er traurig, dass die Gelehrten ihn fluchten, anstatt ihn zu segnen. Darauf erklärte ihm Rabbi Schimon, wie sich in den „Flüchen“ große Segen verbargen (Sie sagten ihm z.B. „Du wirst säen und nicht ernten (von der Erde abschneiden)“, doch die Bedeutung darin war: „Du wirst Kinder auf die Welt setzen und sie werden in deinen Lebzeiten nicht sterben“).3
Wieso sprachen die Gelehrten ihre Segen an Rabbi Jonatan nicht klar aus und formulierten sie als Flüche? Darauf erklärt die Lehre der Chassidut, dass ganz besondere Segen nicht in ihrer eigentlichen Form (als Segen) in unserer Welt auftreten können und sich deshalb als etwas Schlechtes ausdrücken. Dies ist eines der Regeln in G-ttes Welt.
Zusammenstoß
Eine Sache bleibt aber noch unklar: Da diese großen Segen sich in unserer Welt nur als Flüche ausdrücken können, stellt sich die Frage, wie es Rabbi Schimon überhaupt möglich war, in den größten Flüchen die größten Segen zu sehen?
Um dies zu verstehen, brauchen wir ein richtiges Verständnis dafür, was Leid und Schmerz in unserer Welt bedeutet. Im Buch Tanja4 wird erklärt,5 dass alles Leid auf der Welt an sich gut ist, ja sogar sehr gut; denn G-tt ist absolut gut und deshalb kann von Ihm nur Gutes kommen. Doch gerade eben, weil diese Energie des Guten so stark ist, können wir es nicht ertragen und nehmen es deshalb schlecht auf.
Denn unsere Welt ist begrenzt, doch G-ttes absolute Güte steht weit über den Grenzen der Welt. Den Zusammenstoß zwischen unserer Welt und G-ttes überdimensionaler Güte nimmt die Welt schmerzlich auf. Wir empfinden es als Leid, doch in Wahrheit ist es absolut gut. (Gutes, das wir auch als gut empfinden, kommt von einem viel niedrigeren Niveau der Güte G-ttes).
Dieser Zustand wird aber nicht immer so bleiben: Heutzutage ist die Welt nicht reif genug, heilig genug und sündenfrei, um G-ttes absolute Güte auf gute Weise absorbieren zu können. Doch zur vollkommenen Erlösung wird sie dann soweit sein, dass sie diese hohe Stufe von Gutem ordnungsgemäß, also gut aufnehmen wird!
Ein Funke
Es gibt aber Menschen mit einer außerordentlichen Seele, die auch jetzt schon die absolute Güte G-ttes sehen, wie sie tatsächlich ist. Rabbi Schimon bar Jochaj war einer davon. Deshalb konnte er in den „Flüchen“ der Gelehrten an seinen Sohn bereits die großen Segen sehen.
Rabbi Schimon war dazu in der Lage, da es seine Aufgabe auf Erden war, die inneren Dimensionen der Thora zu offenbaren, welche die verborgene Wahrheit über G-tt und die Welt aufdeckt.
Deshalb ist es auch gerade die Lehre der Chassidut, welche beibringt, in den Flüchen der Thora große Segen zu sehen. Denn die Lehre der Chassidut trägt einen Funken von den inneren Dimensionen der Thora, wie sie zur vollkommenen Erlösung zum Vorschein kommen. Deshalb verrät sie uns ein wenig über das verborgene Gute der Flüche. Doch das ist nur ein Funke. Das absolut Gute in den Flüchen werden wir zur vollkommenen Erlösung erleben!
(Likutej Sichot, Band 1, Seite 283)
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