V. Likkutej Tora zu dieser Parascha1 erklärt, dass alle Einzelheiten der Tochacha2 in Wirklichkeit Segenssprüche sind. (Zum Beispiel: Der Vers „Zehn Frauen werden in einem Ofen backen“3 bedeutet, dass alle zehn Fähigkeiten der Seele in dem „Einen“ gründlich „gekocht“ oder „gebacken“ werden.4 ) Aber diese Segnungen sind so erhaben, dass sie nicht auf eine offensichtliche Weise herabsteigen können, und deshalb mussten sie auf diese besondere Weise ausgedrückt werden.

Der Zemach Zedek zieht in einer Glossaranmerkung5 eine Analogie zu einer Begebenheit, die in der Gemara berichtet wird:6 R. Schimon bar Jochai schickte seinen Sohn zu R. Jonathan ben Asmai und R. Jehuda ben Gerim, damit sie ihn segneten. Als er zu seinem Vater zurückkehrte, berichtete er ihm, was sie ihm gesagt hatten, und beklagte sich, dass es kein Segen gewesen sei, sondern das genaue Gegenteil. Daraufhin sagte R. Schimon zu ihm, dass alle ihre Worte wirklich ein Segen seien, und er fuhr fort, zu erklären, warum das so ist.

Diese Geschichte wirft ein Problem auf: Warum haben die Rabbiner ihn mit Worten gesegnet, die negativ ausgelegt werden könnten? R. Schmuel Eidels (Maharscha) schlägt vor, dass sie witzig sein wollten. Der Zemach Zedek sagt jedoch, dass es sinnvoller ist, diese Passage im eigentlichen Sinne zu verstehen. Er erklärt, dass die Rabbiner diese Segenssprüche nicht anders ausdrücken konnten, weil sie so erhaben waren.

VI. Wenn aber diese Segnungen so erhaben waren, dass sie verschleiert werden mussten, wie konnte R. Schimon bar Jochai sie dann so offen auslegen?

Wir können dies im Zusammenhang mit einer Prämisse verstehen, die im Tanja erklärt wird: Leiden ist in Wirklichkeit die Güte der „verborgenen Welt“, der Aspekt von Jud-Hej;7 deshalb manifestiert es sich „wie ein Schatten, und nicht als Licht und offenbarte Güte.“ Wenn man das Leiden mit Freude annimmt, wird man es verdienen, dass „die, die Ihn lieben, wie die Sonne sein werden, die in ihrer Macht aufgeht“8 – was in der Zukunft sein wird, wenn die gegenwärtigen Leiden als sichtbare und offenbare Güte gesehen werden.9

Es gibt Seelen, deren Aufgabe es ist, Pnimijut haTora zu offenbaren, die verborgene, innere Dimension der Tora. Diese Seelen erfahren bereits jetzt eine Erleuchtung der zukünftigen Manifestation.10 R. Schimon bar Jochai, dessen Aufgabe es war, Pnimijut haTora zu offenbaren,11 konnte daher diese Segnungen auf eine offensichtliche Weise interpretieren. Er hatte bereits eine Erleuchtung von „der Sonne, die in ihrer Macht aufgeht“, und so sah er bereits die Realität der verborgenen Segnungen.

Deshalb erscheint die Interpretation der Tochacha als Segen speziell in Chassidut, d. h. in den Lehren, die Pnimijut haTora in die Öffentlichkeit bringen.

VII. Die Entfaltung der Bedeutung der Segenssprüche ist mit Pnimijut haTora verbunden. So wie R. Schimon bar Jochai jedem Pnimijut haTora offenbarte, so legte er die Segenssprüche für seinen Sohn aus, ungeachtet der Tatsache, dass sein Sohn zu dieser Zeit noch nicht von erhabener Statur war. (Der unvollständige Status seines Sohnes zu dieser Zeit wird deutlich, wenn man bedenkt, dass die Gemara ihn nicht mit seinem Namen nennt,12 sondern es lediglich heißt: „Er sagte zu seinem Sohn“, und auch aus der Tatsache, dass R. Schimon ihn schickte, um einen Segen von R. Jonathan ben Asmai und R. Jehuda ben Gerim zu erhalten.)

(Adaptiert aus einer Sicha gehalten am Schabbat Paraschat Behar-Bechukotai 5716)