Nachdem das jüdische Volk das Land auf der östlichen Seite des Jordan eingenommen hatte, das zahlreich an Weideflächen war, baten die Stämme Ruwen und Gad Mose: Bitte gib deinen Knechten dieses Land zum Besitz und führe uns nicht über den Jordan.1

Als Mose dies hörte, ging er mit ihnen hart ins Gericht: Eure Brüder sollen in den Krieg ziehen und ihr wollt hier bleiben?!2 Mose verglich sie sogar mit den Kundschaftern: Und siehe, ihr seid anstatt eurer Väter aufgestanden, eine Zucht sündiger Männer, die den Zorn G-ttes über Israel bringen wollen!3

Erst nachdem sie Mose versicherten, dass sie an der Seite ihrer Brüder kämpfen würden, stimmte Mose zu.

Was verbarg sich hinter den Absichten der Stämme Ruwen und Gad einerseits und den Anschuldigungen Moses andererseits? Zuerst verglich er sie mit den Kundschaftern, weil sie nicht ins Land wollten und dann erfüllte er ohne Weiteres ihre Bitte. (Sie versprachen zwar bei der restlichen Landeinnahme mitzukämpfen, doch dies änderte nichts an ihrem Willen, auf der östlichen Seite des Jordans zu leben.)

Schafshirte

Die Lehre der Chassidut erklärt,4 dass die Söhne Jakows, die 12 Stämme Israels, es bevorzugten, Schafshirten zu sein, da sie sich vom G-ttesdienst so wenig wie möglich ablenken lassen wollten. Deshalb setzten sie sich auf abgelegene Weiden, weit entfernt vom Chaos der Welt.

Dieselbe Absicht verfolgten auch die Stämme Ruwen und Gad, als sie darum baten, auf der östlichen Seite des Jordan zu bleiben. Sie wollten ein wenig Distanz von der Weltlichkeit halten, um G-tt ungestörter dienen zu können.

Als Mose dies hörte, fuhr er sie an und verglich sie mit den Kundschaftern. Auch die Kundschafter wollten in der Wüste bleiben und überredeten das Volk dazu, damit sie sich mit der Weltlichkeit nicht beschäftigen müssten und so G-tt ungestört dienen könnten. Dieses Vorhaben war eine große Sünde, denn G-tt erschuf die Welt mit der Absicht, damit das jüdische Volk sie in die Heiligkeit erhebt. Die Isolierung von der Welt macht die Erfüllung der g-ttlichen Absicht unmöglich!

Weshalb dann, als die Stämme Ruwen und Gad versicherten, mit ihren Brüdern in den Krieg zu ziehen, gestattete ihnen Mose diese Isolierung von der Weltlichkeit?

Geschäftsmann

Die Antwort ist, dass es im jüdischen Volk allgemein zwei Gruppen gibt:

„den Geschäftsmann“ und „den Thoragelehrten.“5 So wie der „Geschäftsmann“ für die g-ttliche Absicht notwendig ist, denn durch seine Beschäftigung mit der Weltlichkeit heiligt er sie, braucht man auch den „Thoragelehrten“ für die g-ttliche Absicht, der sein ganzes Leben dem Thorastudium widmet. Die Stämme Ruwen und Gad wollten zur Gruppe der „Thoragelehrten“ gehören.

Was ist ein Thoragelehrter?

Mose befürchtete, dass die Stämme Ruwen und Gad den Typen „Thoragelehrten“ missverstehen und sich deshalb gänzlich vom Land Israel und seinen Bewohnern abgrenzen wollten. Denn die eigentliche Aufgabe der Thoragelehrten ist es doch, das Volk zur Thora und ihren Wegen zu inspirieren. Sie sind eine Quelle voller Licht und Wärme für den G-ttesdienst. Deshalb erzürnte Mose über sie.

Doch nachdem sich die Stämme Ruwen und Gad bereit erklärten, sogar vor ihren Brüdern in den Krieg zu ziehen, bewiesen sie, dass sie echte „Thoragelehrte“ waren, vorbildlich und sorgenvoll ihren Brüdern gegenüber; doch nicht nur im Geiste, sondern auch mit Taten. Dadurch würde eine starke Bindung zwischen den „Thoragelehrten“ und „Geschäftsmännern“ entstehen, denn einer ist auf den anderen angewiesen. Deshalb gestattete ihnen Mose schließlich, sich auf der östlichen Seite des Jordans niederzulassen.

Das ist ein echter Thoragelehrter: Er lehrt die anderen Thora und weist ihnen den richtigen Weg.

(Likutej Sichot, Band 8, Seite 186)