Am Beginn unseres Wochenabschnittes Chaje Sara erfahren wir, dass Sara 127 Jahre alt wurde. Doch heißt es in der Tora nicht einfach „sie wurde 127”, sondern seltsam umständlich: „Die Lebenszeit von Sara war 100 Jahre und 20 Jahre und sieben Jahre”. Kann da nicht einfach „127 Jahre” stehen?

Nun, auch in diesem Fall liegt unter der Hülle einer schwer verständlichen Formulierung eine tiefe Weisheit verborgen. Unsere Gelehrten erklären dazu: Die einzelnen Lebensabschnitte der Sara (sieben Jahre, also Kindheit; 20 Jahre, also eine junge Erwachsene; 100 Jahre, also hohes Alter) waren alle gleichermaßen perfekt.

Wunderbare Jahre oder perfektes Leben?

So wie sie mit sieben Jahren frei von Sünden war, war sie auch mit 20 noch frei von Sünden. Und so schön wie sie mit 20 war, war sie auch noch mit 100 Jahren schön. Nach einer anderen Lesart heißt es, dass sie mit 20 noch so schön war wie als Siebenjährige, und mit 100 noch so sündenfrei wie mit 20. Woran wir erkennen, dass sie jedenfalls in all ihren Lebensabschnitten sowohl von außerordentlicher Schönheit, als auch von außerordentlicher Reinheit ihres Lebenswandels war. („Schönheit” können wir dabei durchaus auch als geistige Schönheit, als Schönheit des Charakters verstehen.) Wir haben es also mit einem durch und durch perfekten Leben zu tun, und so wird auch ein Zitat aus den Psalmen (37:18), das über die Gerechten sagt: „all ihre Jahre sind perfekt”, auf Sara bezogen.

Turbulenzen und Veränderungen

Der Lubawitscher Rebbe hat diese Erklärungen genauer unter die Lupe genommen und dabei auf einen interessanten Aspekt hingewiesen: Wenn wir uns anschauen, was die Tora vom Leben der Sara überliefert, so klingt das gar nicht nach einem problemlosen, ruhigen Leben. Es geht ganz schön turbulent im Leben der Sara zu und wir sehen tiefgreifende Entwicklungen und Umwälzungen. Es ist auch überliefert, dass sie ihre Schönheit nicht immer gleichermaßen bewahrte, sondern eine Zeit lang verlor, – sie jedoch später wieder gewann. Wie also ist das mit den „perfekten Jahren” zu verstehen?

Ein genauer Blick auf die hebräischsprachigen Quellen löst das Rätsel: Das hebräische Wort „Schnotam” kann sowohl als „ihre Jahre” als auch als „ihre Veränderungen” verstanden werden. Es ist beides gemeint: Ihre Jahre waren perfekt und ihre „Veränderungen”, das heißt, die Entwicklungen, die sie im Lauf des Lebens durchgemacht hat, waren auch perfekt. Wir lernen daraus, dass wahre Perfektion nichts Statisches ist, sondern ständige Veränderung, eine Entwicklung zum Besseren nämlich, bedeutet. Und finden solche Veränderungen statt, so erscheint auch alles das, was vorher war, in einem neuen Zusammenhang, in einem besseren Licht, und so sind dann letztlich – im Rückblick – alle Jahre so gut wie die letzten. Bei unserer Mutter Sara war der Idealfall eingetreten, dass ihre Jahre nicht nur gut, sondern vollkommen perfekt waren.