Ist die Tora groß oder klein, umfassend oder kompakt, einschüchternd oder ermutigend? Im Grunde trifft das alles zu. Viele Menschen, die nicht mit der Tora vertraut sind oder fürchten, sie nicht zu verstehen, finden sie zu lang oder gar einschüchternd. Aber denken Sie daran, dass beispielsweise alle Gesetze des Kaschrut von einigen wenigen Sätzen der Tora abgeleitet sind, etwa „Du sollst kein Lamm in der Milch seiner Mutter kochen“. Das ist knapp genug, und dennoch deckt es eine Menge Praxis ab.

Weitere Beispiele für die elegante Präzision der Tora finden wir diese Woche in Emor. Der zweite Teil – nicht einmal das gesamte Kapitel – gibt einen Überblick über die Feiertage des ganzen Jahres. Der Schabbat wird zum Beispiel so beschrieben: „Sechs Tage sollt ihr arbeiten, aber am siebten Tag ist ein Schabbat der feierlichen Ruhe, eine heilige Versammlung; ihr sollt keinerlei Arbeit tun; es ist ein Schabbat für den H-rrn in allen euren Wohnungen.

Das ist alles.

Folgern wir daraus, dass wir nicht Auto fahren, fernsehen oder Fußball spielen dürfen und dass Oma den Ofen für den ganzen Tag vorbereitet?

Ja. Auf der ganzen Welt halten Juden den Schabbat auf mancherlei komplexe Weise ein. Es geht darum, ihn zu befolgen und ihn nicht wie jeden anderen Tag zu behandeln.

Pessach wird in Emor als „Fest des ungesäuerten Brotes“ beschrieben. Gewiss, es gibt ein paar ergänzende Verse, aber kein Gebot, vier Gläser Wein zu trinken, gefüllten Fisch zu essen oder zur Tür zu eilen, wenn der Hausherr die bevorstehende Ankunft Elijas verkündet. Wie hat sich das alles entwickelt? Und wie sind wir vom Vers „Ihr sollt sieben Tage in Hütten wohnen“ zu den wundersamen Zeremonien und der Symbolik von Sukkot gekommen?

Die Tora ist der Bauplan, nicht das Haus. Wir müssen das Haus selbst bauen. Wir benutzen das solide Fundament aus Geboten, Ideen, Riten und Glaubensinhalten in diesem kurzen (!) Dokument, um unsere eigene Jiddischkeit zu formen – in jeder Generation. Es gehört zum freien Willen, dass wir selbst bestimmen, wie wir unsere jüdische Seele ausdrücken und die Gebote ehren.

Aber eines ist klar: Es handelt sich nicht um Vorschläge, sondern um Gebote. Dennoch räumen sie uns trotz ihrer Exaktheit eine wundervolle Freiheit ein. Dies ist eines von vielen faszinierenden Rätseln des Geschenkes, das wir Tora nennen.