Die jüdische Gemeinde in aller Welt macht sich große Sorgen darüber, ob das Judentum das nächste Jahrhundert erleben wird. Viele befürchten, daß die Juden in den USA und in Israel (dort leben die meisten Juden) sich zerstreuen und in den Nichtjuden aufgehen. Sie sagen voraus, daß Juden, die verschiedene Ansichten haben, sich trennen und daß das Judentum durch Heiraten mit Nichtjuden und den Trend zur Kleinfamilie sich auflöst.

Andere meinen, daß bisher jede Generation das Verschwinden des Judentums innerhalb von Jahrzehnten vorausgesagt hat. Erwachsene glauben immer, ihre Kinder seien ihrer Kultur und deren Wertvorstellungen weniger verbunden. Warum sich Sorgen machen? Wir haben doch den Holocaust überlebt, also werden wir Wohlstand und relativen Frieden erst recht überleben ...

Aber liegt nicht gerade darin das Problem? Hat nicht die Unterdrückung uns veranlaßt, zu kämpfen? Lassen wir uns heute in Sicherheit wiegen und gehen, ohne es zu merken, in anderen Kulturen auf?

Wenn wir die Juden zählen, sollten wir auch darüber nachdenken, wieviel jeder Jude zählt. Unsere Weisen erzählen eine Geschichte von vielen Menschen in einem Schiff auf dem Meer. Einer bohrt ein Loch in den Boden. Als die anderen ihn zur Rede stellen, sagt er: “Ich bohre doch nur unter meinem Sitz!”


Der neue Wochenabschnitt, Emor, berichtet vom Omer-Zählen (ist es nicht interessant, daß “Omer” ein Anagramm von “Emor” ist?). Das ist ein ungewöhnliches Ereignis, denn es verbindet zwar Pessach und Schawuot, aber die Tage des Zählens sind keine Feiertage; sie sind eine Zwischenphase. Dennoch haben sie ihre eigene Bedeutung und ihre eigenen Regeln.

Sie erinnern uns daran, daß wir etwas Verbindendes brauchen, um das, was uns teuer ist, zu bewahren. Sie verbinden zwei Feiertage, weil wir unser Erbe nicht nur an Feiertagen ehren sollen, und sie verbinden Menschen, damit wir nicht zwischen “uns” und “den anderen Juden” unterscheiden. Sie verbinden auch unser irdisches Leben mit unserem spirituellen Leben, damit wir sehen, daß das erste vom zweiten beeinflußt wird.

Wieviel zählen wir heute? In Kunst, Musik, Literatur, Wissenschaft und Politik zählen wir viel mehr, als es unserer Zahl entspricht. Werden wir auch morgen zählen? Nur dann, wenn wir ein einiges Volk bleiben.