Die Gebote über die Reinheit und Unreinheit gehören zu den Grundelementen des Judentums. Sie regeln die jüdische Küche, die Beziehungen eines jüdischen Paares, und im Allgemeinen bilden sie den Schlüssel für die Bindung des Menschen zu seinem Schöpfer.
Gerade wegen ihrer außerordentlichen Wichtigkeit spielt die Glaubwürdigkeit eines Menschen auf diesem Gebiet eine enorme Rolle. Die Halacha1 setzt fest, dass das „einfache Volk“ (dessen Thorakenntnisse sehr gering sind) in Bezug auf strenge Unreinheiten glaubwürdig ist, aber nicht bei leichten Unreinheiten.
Wenn jemand aus dem einfachen Volk z.B. behauptet mit keinem Toten in Berührung gekommen zu sein, was als „Vater aller Unreinheiten“ gilt, glaubt man ihm, da es sich um eine sehr strenge Unreinheit handelt und er sicherlich achtsam war sich nicht „anzustecken“. Und selbst wenn er verunreinigt wurde, reinigte er sich sicher ordnungsgemäß. Aber bei leichten Unreinheiten kann man sich nicht auf jemanden aus der breiten Masse verlassen, da in seinen Augen leichte Unreinheiten weniger wichtig sind und er mit ihren Vorschriften nicht so vertraut ist.
Zu Ehren des Festes
Es gibt jedoch gewisse Zeiten, in denen dem ganzen Volk dieselbe Glaubwürdigkeit sogar in Bezug auf einfache Unreinheiten zugeschrieben wird, und zwar an den drei Wallfahrtsfesten Pessach, Schawuot und Sukkot, zu denen das Volk nach Jerusalem pilgerte. Rambam begründet diesen Ausnahmefall folgendermaßen: „Denn alle Juden gelten als „Freunde“ (der Thora – d.h. gelten als Gelehrte) bei den Festen, weil ganz Israel sich zu Ehren des Festes reinigt.“2
Und was geschieht nach dem Fest? Rambam fährt fort: „Nach dem Fest kehrt das einfache Volk zu seiner Unreinheit zurück“. Mit Ende des Festes also verliert die breite Masse wieder an Glaubwürdigkeit und gilt wiederum als unrein.
Der Gesetzesschluss von Rambam scheint unverständlich: Wenn das einfache Volk als unrein gilt, sollte dieser Status auch während des Festes erhalten bleiben; und wenn dem Volk bezüglich der leichten Unreinheiten vertraut wird, da es sich zu Ehren der Feste davon reinigt, weshalb betrachtet man es unmittelbar nach dem Fest wieder als unrein?
Die Versammlung
Der Talmud führt verschiedene Gründe für diese Vorschrift an: Im Jerusalemer Talmud heißt es, dass „die Pilgerfahrt nach Jerusalem das ganze Volk reinigt“.3 Dies sei die Stadt, die alle miteinander verbindet und ganz Israel zu „Freunden“ (der Thora – d.h. zu Gelehrten) macht. Als Vorbereitung für die Pilgerfahrt nach Jerusalem reinigt sich nämlich jeder Jude auch von der kleinsten Unreinheit, selbst wenn er während des Jahres leichten Unreinheiten weniger Beachtung schenkt. Doch nach den Festen, wenn man die heilige Atmosphäre Jerusalems verlassen hat, wird man wieder gegenüber den leichten Unreinheiten unachtsam.
Dem Babylonischen Talmud zufolge4 führt schon allein die gemeinsame Versammlung ganz Israels zur Reinheit des einfachen Volkes. Der Talmud erklärt dies mit dem Vers aus dem Buch der Richter: Und es versammelte sich ganz Israel in der Stadt, wie verbündete Freunde.5 Wenn Juden sich versammeln, werden sie alle zu „Freunden“ (der Thora – d.h. zu Gelehrten).
Ein mächtiges Ganzes
Beim Zusammentreffen von Juden an einem Ort also „verschwindet“ die Individualität des Einzelnen – es entsteht die Gemeinde, welche einen neuen Status erlangt: vollkommen rein! Das ist eine vereinte jüdische Gemeinde! Es besteht hierbei nicht nur der gesellschaftliche Vorteil; in einer vereinten jüdischen Gemeinde ruht immer G-tt, unabhängig davon, welchen Status sie hat (selbst wenn sie unrein ist)! Denn ein vereintes jüdisches Volk offenbart das wahre Wesen jedes Juden, dass nämlich sein Innerstes immer rein und an G-tt gebunden bleibt (durch seine g-ttliche Seele), sodass keine Unreinheit auf der Welt ihn erfassen kann – „alle Juden sind Freunde“!
(Likutej Sichot, Band 37, Seite 20)
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