Unter den unreinen Vögeln, die unser Wochenabschnitt aufzählt, wird der „Schalach“ (Eisvogel) genannt.

Was ist der „Schalach“? Raschi erklärt: „Unsere Weisen lehren1: der Vogel, der die Fische aus dem Meer fischt“. Der Schalach also gewinnt seine Beute, indem er sie schon von der Luft aus entdeckt und dann im Wasser nach ihr schnappt.

Der Talmud erzählt2 von Rabbi Jochanan3, dass er einen Schalach sah und G-tt mit folgenden Worten lobpreiste: Deine Gerichte gleichen einer unermesslichen Tiefe, ein Vers im Tehilimbuch4. Raschi kommentiert dies: „Und Deine Gerichte sind sogar in so unermesslicher Tiefe, dass Du den Schalach geschickt hast um die Fische des Meeres zu richten, jene zu töten, welche zu töten sind!“5 Der Schalach also drückte für Rabbi Jochanan die g-ttliche Lenkung auf der Welt aus. Der Arm G-ttes erstreckt sich über alle Geschöpfe auf Erden – sein Gericht vollzieht sich auf unzähligen Wegen –, sodass Er selbst die Entscheidung über Leben und Tod der Meeresfische fällt.

Die Hand G-ttes

Diese Lehrweisung Rabbi Jochanans übernahm der Alter Rebbe, um mit ihr das revolutionäre Weltbild des Baal Schem Tow6 zu festigen, welches viele jüdische Gelehrte anfangs nicht akzeptierten. Der Baal Schem Tow lehrte7, dass jedes der unzähligen Ereignisse, die sich auf der Welt abspielen, einzig und allein von G-tt gelenkt wird! Nicht nur Abläufe, die mit dem Menschen zu tun haben, sind g-ttliche Vorhersehung (die freie Wahl des Menschen aber, einer der Grundsätze des Judentums, bleibt weiterhin bestehen), sondern auch jede Tat und Bewegung aller Lebewesen und sogar der leblosen Materie lenkt G-tt in perfekter Koordination und bestimmt bis ins kleinste Detail ihre Situation und Umgebung, mit denen sie je in Berührung kommen werden!

Denn das meinte Rabbi Jochanan mit seiner Lehrweisung, dass selbst den Beutefang des Eisvogels – welche und wie viele Fische von ihm erjagt werden – voll und ganz die g-ttliche Hand bestimmt! Und so lehrte der Baal Schem Tow, dass jede Einzelheit und Veränderung auf der Welt von der g-ttlichen Lenkung abhängig ist; sogar das Blatt, welches vom Ast fällt, lenkt G-tt, damit es auf seinem ihm bestimmten Platz lande!

Treibsand

Selbst die Tatsache, dass Rabbi Jochanan seine Lehrweisung vom Eisvogel ableitete, ist nicht zufällig. Denn es besteht eine direkte Verbindung zwischen den Grundsätzen der g-ttlichen Lenkung und dem Schalach, „der die Fische aus dem Meer fängt!“

Die Welt, wie wir sie vor Augen haben, scheint durch ihre Naturgesetze gelenkt zu werden. Wir sehen nicht die g-ttliche Hand, welche die Welt führt und über sie bestimmt. Die Lehre der Chassidut aber erklärt8, dass das Wort „Natur“ (hebr. טבע) die Bedeutung von „Versinken“ (hebr. טבע) trägt. So wie Gegenstände, die im Meer versinken, weiterhin voll und ganz existieren, allerdings nicht gesehen werden können, so auch bedeckt die Natur die g-ttliche Lenkung, als ob sie von ihr verschluckt wäre, sodass die Welt von alleine gelenkt zu werden scheint!

Der Schalach lehrt uns: Wenn wir die g-ttliche Hand in jeder Sache entdecken wollen, müssen wir die Dinge „aus dem Meer fischen“ – die Maske der Natur abnehmen, um die g-ttliche Lenkung, die sich hinter der Verhüllung der Natur verbirgt, zu entdecken!

Die Maske

Der Schalach ruft uns dazu auf einige Momente still zu stehen und uns zu besinnen, wer und was hinter den Ereignissen unserer Welt steht. An uns liegt es die Dinge „aus dem Meer zu bergen“ und ihr wahres Wesen zu enthüllen. Dann begreift man auch, dass es keine Zufälle gibt und alles einen g-ttlichen Sinn hat (auch wenn uns dies nicht immer offenbar ist). Dadurch wird auch ersichtlich, dass alles und besonders der Mensch eine höhere Aufgabe und Bestimmung auf der Welt haben – denn der ewige G-tt lenkt und wacht über diese Welt!

(Likutej Sichot, Band 7, Seite 54)